Der beste Job der Welt

Der VfL Wolfsburg hat einen neuen Trainer. Wie er tickt, wo er herkommt und was er will, verrät Oliver Glasner (44) hier im Grossen Interview.
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Von Andreas Pahlmann

Ihr Landsmann Xaver Schlager hat gesagt „Als Österreicher willst du nicht in Österreich spielen“ – will man als österreichischer Trainer auch nicht in Österreich trainieren?

Auch in Österreich ist es ein Privileg, in der dortigen 1. Liga zu spielen. Es gibt zwölf Teams, jeweils mit rund 20 Plätzen im Kader – es sind also nur etwa 240 Menschen, die dieses Privileg haben. Klar, wenn du zu Höherem berufen bist, willst du auch in einer größeren Liga spielen. Für einen wie mich, der als Kind die deutsche Bundesliga im TV verfolgt hat, ist das natürlich etwas Besonderes. Unser Stadion hier in Wolfsburg ist mit 30.000 Plätzen eines der kleineren, in Österreich wäre es das größte. Fußball hat hier noch einmal einen anderen Stellenwert.

Stöger, Hütter, jetzt Sie in Wolfsburg und Canadi in Nürnberg – warum liegen österreichische Trainer im Trend?

Vielleicht ist es die Idee vom Fußball, die oft einfach passend ist. Adi Hütter etwa hat seinen Stil in Gröding und Salzburg, dann in Bern und nun in Frankfurt entwickelt, so ähnlich sieht die Anforderung ja auch für mich aus: Den Fußball, den wir in Linz entwickelt haben, auch beim VfL zu entwickeln. Hätte der Verein hier eine völlig andere Idee gehabt, dann würde das nicht funktionieren. Das, wofür Lucien Favre steht, war in Dortmund gefragt; das, wofür Felix Magath steht, war damals in Wolfsburg und davor bei den Bayern gefragt; das, wofür Marco Rose steht, ist eben jetzt in Mönchengladbach gefragt. Vom Pass ist das nicht abhängig.
           
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Wann gab es den ersten Kontakt zu Jörg Schmadtke?

Vor zwei Jahren, aber aus einem ganz anderen Grund. Der 1. FC Köln war im Trainingslager in Kitzbühel und wollte unbedingt noch ein Testspiel machen – gegen uns. Ich wollte eigentlich nicht, weil bei uns schon die Liga begonnen hatte. Aber Jürgen Werner, der beim LASK Berater und mit Jörg befreundet ist, hat mich überredet. Wir haben mit einer sehr jungen Mannschaft bei 35 Grad 2:2 gespielt, das hat wohl einen guten Eindruck hinterlassen.

Jürgen Werner spielte auch eine Rolle, als es darum ging, dass Sie hier Trainer werden…

Für den Kontakt ja – aber entscheidend war das Treffen mit Marcel Schäfer, Jörg und mir im Frühjahr. Wir haben über Fußball geredet, vier Stunden lang. Wie wir in Linz gespielt haben, wie der VfL spielt. Ich wusste vor dem Treffen auch nicht genau, wo die Reise hingeht, aber wir haben dann schnell gemerkt, dass unsere Anschauungen sehr, sehr ähnlich sind.

Gibt es da ein Beispiel?

Wie will ich Fußball spielen lassen, wie vermittle ich mit meinem Trainerteam diese Ideen? Dann ging's um Fragen wie: Wie geht man mit Spielern um, mit Betreuern, mit dem Trainerteam? Über den Kader und einzelne Spieler haben wir erst am Ende gesprochen.

Und sich dann darauf geeinigt, dass der VfL künftig im 3-4-3-System spielt?

Wir wollen dieses System spielen, weil wir einfach die Spieler dafür haben. Bei uns ist es doch so: Wir haben Außenverteidiger, die offensiv stark sind. Die will ich bei jedem Angriff vorn dabei haben. Und damit nach Ballverlusten die beiden Innenverteidiger nicht allein auf sich gestellt sind, stellen wir eben einen dritten dazu. Das zweite Argument ist: Wenn du Verteidiger hast, die das Tempo bei sehr schnellen Gegenspielern vielleicht nicht immer mitgehen können, dann ist es sinnvoll, eine Absicherung einzubauen.

„DAS STADION HIER IST MIT 30.000 PLÄTZEN EINES DER KLEINEREN, IN ÖSTERREICH WÄRE ES DAS GRÖSSTE“

Und weil Sie offensive Außenverteidiger haben, sind die Außenstürmer quasi keine Außen mehr, sondern können sich früher Richtung Tor und Richtung Abschluss orientieren.

Genau. Ich will meine abschlussstarken Spieler ja möglichst oft in Abschlussposition bringen. Aber die Grenzen zum 4-3-3 sind da fließend, und wenn es gut läuft, wird das System über kurz oder lang sowieso keine große Rolle mehr spielen. Ich kann Ihnen jetzt schon zehn Videoausschnitte zeigen, wo Sie nicht erkennen können, welches System wir spielen. Es verschwimmt. Denn es kommt am Ende nur darauf an, Räume zu erkennen, Räume zu bespielen, Überzahl-Situationen zu schaffen. Und die Herausforderung dabei ist: Immer hinterm Ball abgesichert zu sein. Wenn wir den Ball verlieren, wollen wir ihn schnell wiederhaben. Dazu brauchen wir eine gute Ordnung. In dieser Ordnung wollen wir Verhaltensweisen entwickeln, die automatisch funktionieren – wer geht dem Ball entgegen, wer geht tief, wer zieht in die Mitte, wenn ein anderer nach außen geht, diese Dinge. Daraus müssen Automatismen werden, deswegen wechseln wir vielleicht am Anfang nicht unbedingt oft das System. Aber wenn das alles sitzt, dann wollen wir variabel spielen.

Um auf welchem Platz zu landen?

Ich will mich nicht herausreden, aber wenn ich jetzt ein konkretes Ziel nenne, hilft uns das nicht dabei, auch nur ein einziges Spiel zu gewinnen. Darum sage ich lieber: Wenn wir uns mit dem beschäftigen, was auf dem Platz stattfindet, wenn wir lernen, wie wir als Mannschaft optimal miteinander umgehen, dann hilft uns das, unsere Leistungen zu verbessern. Und je mehr wir unsere Leistung verbessern, desto mehr Punkte werden wir haben.
           
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Zum Umgang miteinander gehört, dass sich alle verstehen – wenn Sie sich mit Ihrem Trainerstab unterhalten, ist das für Außenstehende manchmal schwierig...

Also wir bemühen uns schon, Hochdeutsch zu sprechen (lacht). Was mich wiederum hier überrascht hat: Wir haben in der Mannschaft sehr viele Nationalitäten, aber alle sprechen gut Deutsch. Ich musste da in Linz fast häufiger Englisch oder manchmal ein bisschen Spanisch sprechen.

Und typisch österreichische Ausdrücke wie „leiwand“...

...sind Wiener Ausdrücke. In Oberösterreich, wo ich herkomme, ist es eher dem Bayerischen sehr nah. Im Zweifelsfall verstehe sogar ich einen Bayern leichter als einen Wiener. Manchmal ist es auch ein Spagat, denn in meiner Trainerausbildung wurde gesagt: „Sprecht nicht Hochdeutsch, da verliert ihr an Authentizität.“

Inwiefern hat Sie ihre Herkunft geprägt?

Wir sind alle durch unsere Herkunft geprägt, das hat aber nichts mit Oberösterreich oder meinem Heimatort Riedau zu tun. Sondern eher damit, dass meine Mutter alleinerziehend war. Ich hatte als Kind sehr, sehr viele Freiheiten, weil sie den ganzen Tag arbeiten musste, um Geld zu verdienen. Da musst du dich aufeinander verlassen können. Viel von dem, wie wir heute sind, liegt in der Kindheit. Und sich aufeinander verlassen zu können, ist ja nicht die schlechteste Eigenschaft. Wenn wir beide jetzt ausmachen, dass wir uns in vier Wochen um 17 Uhr in – ich sag‘ mal: Vancouver – treffen, dann bin ich in vier Wochen um 17 Uhr dort, da müssen wir vorher nicht noch sechsmal telefonieren. Wenn du diese Art von Vertrauen innerhalb einer Mannschaft hast, dann gehst du auch auf dem Rasen durch dick und dünn, weil du weißt: Der andere lässt mich nicht fallen. Was vielleicht ein wenig typisch für uns Oberösterreicher sein könnte, ist ein gewisses Maß an Bodenständigkeit.

Wie äußert sich das?

Wenn wir 5:0 gewinnen, laufe ich nicht drei Tage mit erhobenen Händen durch Wolfsburg, wenn wir 0:5 verlieren, mache ich nicht die Rolläden runter. Eher umgekehrt. Du musst die Balance halten können.

„WENN WIR 5:0 GEWINNEN, LAUFE ICH NICHT DREI TAGE MIT ERHOBENEN HÄNDEN DURCH WOLFSBURG“

Sie sind nicht weit entfernt von der Grenze zu Deutschland aufgewachsen, war da der deutsche Fußball ein großes Thema?

Natürlich. Das war ja vor der Zeit des Satelliten-Fernsehens. Wir hatten fünf TV-Programme – zwei österreichische und drei deutsche. Die Sportschau war Highlight und Pflichtprogramm.

Und die deutsche Bundesliga war unterhaltsamer als die österreichische?

Sie war größer, spannender. Das war in den 80ern, da hatte man einen anderen Horizont und bei weitem nicht die Mobilität von heute. Mit meinem Großvater bin ich ab und zu nach Linz gefahren, um ein Erstliga-Spiel im Stadion zu schauen. Das waren absolute Highlights, das gab es ein- oder zweimal im Jahr, häufiger hätten wir es uns auch nicht leisten können. Für mich als Kind mit zehn, elf Jahren war das ein unglaubliches Erlebnis. Aber irgendwie fühlte sich die deutsche Bundesliga noch größer an.

Hatten Sie einen deutschen Lieblingsverein?

Das verrate ich nicht (lacht).

Dann waren‘s die Bayern.

Lothar Matthäus fand ich zumindest gut, der gehörte schon zu meinen Vorbildern.
           
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Vorbild im Sinne von „Da will ich auch mal hin“?

Das war in meiner Kindheit zu weit weg. Daheim in Riedau bin ich mit 15 in die erste Herren-Mannschaft gekommen, 5. Liga. Ich habe Libero gespielt, was total untypisch war, auf der Position spielten ansonsten erfahrenere Spieler. Einmal durfte ich zur U15-Nationalmannschaft, Paul Gludovatz war dort Trainer und sagte. "Wenn du in der U15 des ÖFB spielen willst, musst du nach Linz auf die Fußball-Akademie." Ich wollte das nicht, das war ja mit dem Bus zwei Stunden weg. Außerdem wollte ich Abitur machen.

Und wann kam der Gedanke, Profi zu werden?

Als ich zur SV Ried in die 2. Liga gewechselt bin. Die wollten mich mit 17, aber das war mein Matura-Jahr, also das letzte Jahr vor dem Abitur. Die Matura habe ich gemacht, die Abschluss-Fahrt dann auch noch – und dann bin ich mit 18 in die 2. Liga. Das war aber eher so eine Art Halbprofitum, ich habe nebenbei noch Sport und Geografie studiert. Erst als wir kurz vorm Aufstieg in die 1. Liga waren, habe ich mich ganz auf Fußball konzentriert und mit dem Studium aufgehört.

Aber später haben Sie wieder angefangen zu studieren, als Fernstudium in Hagen...

Ja, Wirtschaftswissenschaften. Da hat mich Oliver Bierhoff drauf gebracht. Ich hatte mitbekommen, dass er das gemacht hat und mich dann informiert.

Sie wurden Diplom-Kaufmann, bekamen nach der aktiven Karriere einen Job als Sportkoordinator bei RB Salzburg – Sie hätten also auch im Management landen können.

Ich habe nach dem Studium die Trainerausbildung gemacht, mir dann aber überlegt: Du hast nicht sieben Jahre studiert, um Trainer zu werden. Also habe ich das Angebot aus Salzburg angenommen, aber nach so vier, fünf Monaten das Gefühl gehabt: RB ist gerade ein Boot, in dem jeder in eine andere Richtung rudert. Man konnte sich zu oft nicht auf die Leute verlassen. Ich wollte kündigen, hatte die Dienstwagenschlüssel schon abgegeben. Dann sprach ich mit Dietrich Mateschitz, erklärte ihm alles. Und er sagte: Wir machen bei RB einen Neuanfang. Okay, dachte ich mir, das schaust du dir erst einmal an. Ralf Rangnick kam dann als Sportdirektor, Roger Schmidt als Trainer, ich blieb vorläufig Sportkoordinator. Und eines Morgens, beim Laufen im Trainingslager, fragte mich Ralf Rangnick: „Oliver, wo siehst du dich eigentlich?“ Und da musste ich dann zugeben: „Es zieht mich eigentlich wieder mehr auf den Platz.“ Und so wurde ich Co-Trainer von Roger Schmidt.
          
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War das die entscheidende Weichenstellung für Ihre berufliche Zukunft?

Es stellen sich immer viele Weichen. Nach nur einer Woche sind wir mit RB gegen Düdelingen aus der Champions-League-Qualifikation ausgeschieden, da waren Roger und ich dann fast schon wieder weg. Ein Jahr darauf wären wir beide fast in Köln gelandet, ehe dort dann Peter Stöger Trainer wurde. Und ein weiteres Jahr später war eigentlich klar, dass ich mit Roger zu Bayer Leverkusen wechseln werde, ich hatte mir da schon ein Haus ausgesucht und mit Rudi Völler zusammengesessen. Und dann ging es so, wie es manchmal im Fußball geht: Adi Hütter, der eigentlich Trainer bei „meiner“ SV Ried werden sollte, übernahm das Amt von Roger in Salzburg, der Job in Ried war frei – und ich bekam das Angebot, dort Cheftrainer zu werden, wo ich die meiste Zeit meiner Karriere gespielt hatte. Als ich das annahm, war ich mir eigentlich sicher, dass ich dort sehr lange bleibe. Aber nur ein weiteres Jahr später war ich Trainer in Linz. Das hatte ich ebensowenig vorausgesehen, wie dass ich irgendwann mal Trainer in Wolfsburg werde. Ich plane so etwas nicht mehr, das geht im Fußball nicht.

Also bleiben Sie erst einmal Trainer?

Ich werde nicht – und das ist dann vielleicht doch der einzige Plan, den ich habe – auf der Bank meinen Lebensabend verbringen. Ich mache das unheimlich gern, die Mischung aus Arbeit am Schreibtisch und auf dem Platz füllt mich zu 100 Prozent aus und macht mir richtig, richtig Spaß. Aber der Stress ist brutal. Wenn du an manchen Tagen nur drei oder vier Stunden schläfst oder über drei, vier Wochen keinen freien Tag hast, dann wirst du dünnhäutig, hast eine kurze Zündschnur. Das merken deine Spieler, das merkt deine Familie – und das muss man bei diesem Job schon einkalkulieren. Von daher hoffe ich, dass ich rechtzeitig den Absprung schaffe. Aber im Moment fühle ich mich in dem Job extrem wohl.

Sie waren in Salzburg, das Konstrukt RB insgesamt wird oft sehr kritisch gesehen. Haben Sie dazu eine Haltung?

Ja, denn ich kenne die Idee dahinter. RB ist ein Global Player und schafft an verschiedenen Standorten mit sehr viel Aufwand – auch finanziell – beste Rahmenbedingungen, damit Jugendliche Profifußballer werden können. Im Eishockey ist es genauso. Spieler auszubilden und sie auf allerhöchstes Niveau zu bringen, das wünscht sich ja eigentlich jeder Klub, darum betreiben ja auch alle Klubs ihre Nachwuchsleistungszentren. RB macht das eben nicht nur an einem Standort, sondern an mehreren, weltweit. Und wenn es so ein Spieler dann schafft, dann ist er ein Eigenbauspieler, wie wir es nennen – egal, ob er in New York ausgebildet wurde und dann in Leipzig spielt oder ob er in Brasilien ausgebildet wurde und dann für Salzburg spielt. Das ist die Idee: Dass die Herkunft gar keine Rolle mehr spielt. Wir wollen Multikulti, wir wollen Vielfalt, wir wollen nicht unterscheiden, wo jemand herkommt. Und diese Idee finde ich sehr schön.

Weil für Sie der Fußball die ideale Projektionsfläche dafür ist?

Ich habe gerade den Film „Der ganz große Traum“ gesehen, mit Daniel Brühl als Konrad Koch, der hier nebenan in Braunschweig gewirkt hat und den Fußball nach Deutschland brachte. Dort ist viel von dem zu sehen, was Fußball für mich ausmacht: Das Miteinander von Arm und Reich, Adel und Armut. Gleichzeitig Unterhaltung zu bieten und den Jungs in der Schule den Sport nahezubringen. Ich weiß, dass das alles sehr romantisiert dargestellt ist, aber ich finde den Kerngedanken gut: Kinder und Jugendliche in einer Mannschaft oder in einem Verein zusammenzubringen, das kann dann auch ein Volleyballverein oder ein Musikverein sein. Alles, was du im Leben brauchst, lernst du da im Zeitraffer – dich durchzusetzen, auch mal nachzugeben, Regeln einzuhalten, dich einzubringen, dich manchmal auch unterzuordnen. Selbst wenn der Neunjährige mit dem 14-Jährigen im Freibad kickt, hast du das: Der Neunjährige lernt, sich durchzusetzen, der 14-Jährige lernt Rücksichtnahme. Das ist das Faszinierende an Mannschaftssportarten. Ich habe auch gern Tennis gespielt – aber wenn du Erfolg hast und damit allein bist, ist das niemals so schön wie Mannschaftssport. Zumindest für mich nicht.

„HERKUNFT ODER GLAUBE EINES MENSCHEN RECHTFERTIGEN NIEMALS EINE BELEIDIGUNG“

Sie haben bis kurz vor Ihrem 37. Geburtstag bei der SV Ried gespielt, aber dann mit der aktiven Karriere nicht freiwillig aufgehört – sondern wegen einer schweren Kopfverletzung, die Sie unter besonderen Umständen erlitten haben und die lebensgefährlich war. Wenn man Ihren Namen googelt, findet man wieder und wieder diese Geschichte. Nervt es Sie manchmal, darauf reduziert zu werden?

Nein, die Geschichte war auch zuletzt kein großes Thema mehr in Österreich, sondern kam jetzt erst durch den Wechsel nach Wolfsburg in Deutschland wieder ein bisschen hoch. Das hat mich etwas überrascht, ist aber vielleicht ganz normal – weil es nach außen hin spektakulär wirkt. Für mich selbst ist es sehr weit weg.

Sie haben 2011 bei einem Spiel gegen Rapid Wien eine leichte Gehirnerschütterung erlitten, waren dann vier Tage später zum Europa-League-Spiel in Kopenhagen scheinbar wieder fit...

Ja, nach dem Spiel gegen Rapid hieß es: Nichts gebrochen, nicht übergeben – also eine leichte Gehirnerschütterung. Bei leichten Gehirnerschütterungen wurde damals keine Computertomographie gemacht, das hat der Klub dann danach geändert. So aber habe ich einen Tag mit dem Training ausgesetzt und dann einen Tag ohne Kopfbälle trainiert. Am Spieltag habe ich beim Anschwitzen am Vormittag Co-Trainer Michael Angerschmid – der jetzt mein Co-Trainer hier beim VfL ist – gebeten, ein paar Flanken zu schlagen. Und beim achten oder neunten Kopfball hat es so einen richtigen Stich gegeben. Dann habe ich zu unserem Trainer – dem ehemaligen U15-Coach Gludovatz übrigens – gesagt, es macht keinen Sinn, ich ziehe im Spiel vielleicht im falschen Moment zurück. Da war aber ansonsten noch alles gut, erst beim Duschen im Hotel habe ich dann extreme Kopfschmerzen bekommen. Ein Arzt wurde gerufen, ab da weiß ich eigentlich nichts mehr.

Sie mussten noch am selben Tag in Kopenhagen notoperiert werden, Ihre Schädeldecke wurde dabei geöffnet – weil Sie ein Subduralhämatom hatten, eine gefährliche Blutung zwischen Gehirn und harter Hirnhaut.

Ohne die Kopfbälle wäre diese Blutung womöglich irgendwann danach aufgetreten, vielleicht im Schlaf – und dann hätte es zu spät sein können. Ich gehe davon aus, dass mir die Kopfbälle tatsächlich das Leben gerettet haben.

Stimmt es, dass Sie Bilder von der OP auf Ihrem Handy haben?

Ja.
Im Gespräch: Oliver Glasner mit AZ/WAZ-Sportredakteur Andreas Pahlmann.
Im Gespräch: Oliver Glasner mit AZ/WAZ-Sportredakteur Andreas Pahlmann.
Und wann schauen Sie die an?

Wenn ich mit mir unzufrieden bin, wenn ich merke, ich verfalle ins Negative, ärgere mich vielleicht zu sehr. Dann holt mich die Erinnerung daran ganz schnell wieder zurück. Aber wenn man darüber nachdenkt, ist es fast schade, dass man solch eine Erinnerung braucht, und dass die Demut und die Wertschätzung für viele Dinge nicht von alleine kommen. Dabei müssten gerade wir hier doch eigentlich jeden Tag merken, wie gut wir es haben. Ich will jetzt nicht kitschig klingen, aber: Mein erster Flug war die Matura-Reise mit 18 und ein großes Abenteuer – heute fliegen wir mal eben mit dem Charter ins Trainingslager nach Österreich. Mein erstes Auto war ein 20 Jahre alter Passat, jetzt fahre ich einen neuen Touareg. Wenn wir hier in der Früh‘ zum Training kommen, ist das Frühstück vorbereitet. Wenn ich auf den Platz schaue, habe ich jedes Mal das Gefühl: Da ist der beste Job der Welt. Wir alle – und ich schließe mich da ein – sollten das mehr zu schätzen wissen und weniger nörgeln. Ich hatte einen Mitspieler in Ried, der hat immer gemeckert, wenn wir in den Kraftraum mussten. Dem habe ich mal gesagt: Jetzt werden wir bezahlt, dass wir in den Kraftraum gehen, sogar gut bezahlt. In ein paar Jahren müssen wir zahlen, dass wir in den Kraftraum gehen dürfen.

Die OP-Bilder auf dem Handy zeigen Sie aber nicht rum, oder?

Die hat außer meiner Familie noch niemand gesehen.

Eine zweite besondere Geschichte, die man über Sie findet, ist bei einem Zweitliga-Spiel in Horn passiert. Sie sind aufs Spielfeld gerannt, um den Schiedsrichter auf einen Zuschauer aufmerksam zu machen, der zwei Ihrer Spieler rassistisch beleidigt hat.

Der Schiedsrichter hat mich dafür auf die Tribüne geschickt, weil ich meine Coaching-Zone verlassen habe. Aber ich konnte nicht anders darauf aufmerksam machen, einen vierten Offiziellen gab es nicht. Also bin ich zum Schiri gerannt und hab‘ gerufen „Schmeiß‘ diesen Wahnsinnigen da raus!“ Vorm Sportgericht wurde ich freigesprochen, aber eine Verurteilung wäre mir auch egal gewesen.

Sie können also auch impulsiv sein?

Wenn bestimmte Grenzen übertreten werden, ja. Man kann mich kritisieren, man kann Spieler kritisieren, alles okay. Aber Herkunft oder Glaube eines Menschen rechtfertigen niemals eine Beleidigung.

Vielfalt und Toleranz sind mittlerweile auch klar sichtbare Teile der VfL-Identität geworden, verkörpert in der vergangenen Saison unter anderem durch die Regenbogenbinde der Kapitäne und Kapitäninnen...

Das finde ich super. Aber nach allen Erfahrungen, die die Menschheit gemacht hat, finde ich es eigentlich auch schlimm, dass das nicht überall Standard ist. Ob jemand muslimisch ist oder orthodox, ob er in Afrika geboren wurde oder in Nordamerika: Warum soll ich so einen Menschen anders behandeln als einen anderen? Ich kann das nicht nachvollziehen. Diese Synapse, die das in irgendeiner Weise erklären könnte, die fehlt mir – Gott sei Dank. Und ich kann auch nicht verstehen, dass es immer noch Leute gibt, die so denken. Das verurteile ich aufs Schärfste.

Dann müssten Sie unter dem Erfolg der FPÖ in Österreich ziemlich gelitten haben.

Das ist der Erfolg des Populismus, den gibt es ja leider in anderen Ländern auch. Da wird mit den Ängsten der Bevölkerung gespielt, das kann man nur verurteilen, gerade als Fußballer. Denn eine der größten Errungenschaften des Fußballs ist es, dass er Völker verbindet. Und das ist dann das Schöne: Da hast du vielleicht Leute auf der Tribüne, die ausländerfeindlich sind – aber wenn der beste Spieler der eigenen Mannschaft ein Schwarzer ist, dann ist er auch deren Held. Und damit widerlegen diese Leute ihre eigene Denkweise ja selbst.
           
Geboren: 28. August 1974 in Salzburg

Spieler bei: SV Riedau (1981 bis 1992), SV Ried (1992 bis 2003), Linzer ASK (2003 BIS 2004), SV Ried (2004 bis 2011)

Einsätze: 410 in der 1. Liga, 101 in der 2. Liga, 9 in der U21-Nationalmannschaft

Position: Innenverteidiger

Studienabschluss: Diplom-Kaufmann (2006 Fern-Uni Hagen)

Sportkoordinator: RB Salzburg (2012)

Co-Trainer: RB Salzburg (2012 bis 2014)

Trainer: SV Ried (2014 bis 2015), Linzer ASK (2015 bis 2019), VfL Wolfsburg (seit 2019)

Privat: Verheiratet mit Bettina (seit 2007), drei Kinder (Julian, Niklas und Alina)

Auszeichnungen: Ehrenkapitän der SV Ried, Fünfter bei der Wahl zu Österreichs Fußballer des Jahres 2008, Österreichischer Pokalsieger 1998 und 2011
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