Der Wanderer wider willen und sein Rekord

In Meine daheim: Michael Spies mit Bildern seiner Karriere.
In Meine daheim: Michael Spies mit Bildern seiner Karriere.
Als er in der Saison 1997/98 für den VFL Wolfsburg in der Bundesliga auflief, stellte Michael Spies einen Rekord auf, der nun seit 20 Jahren besteht: keiner war für so viele Erstliga-Klubs aktiv wie der Gebürtige Stuttgarter.

Von Andreas Pahlmann

Der Satz klingt wie ein Allgemeinplatz , aber er offenbart schon die ganze Spannung dieser Geschichte. „Ich bin ein bodenständiger Typ“, sagt Michael Spies. Soso. Bodenständig. Eine kühne Behauptung, wenn man so etwas wie der größte Wanderer in der Geschichte der Fußball-Bundesliga ist. Man muss ihm eine Weile genau zuhören, dann bekommt man eine Ahnung davon, was es mit dem scheinbaren Widerspruch auf sich hat. Vor 20 Jahren, in der Saison 1997/98, stellte Spies seinen Rekord auf. Der VfL Wolfsburg war der siebte Verein, für den der gebürtige Stuttgarter Bundesliga-Spiele bestritt . Sieben Erstliga-Vereine (für die er in 219 Spielen 46 Tore schoss, dabei für jeden Klub traf) – so viele hat keiner, bis heute nicht. Der erste war der VfB. „Und eigentlich“, so erzählt der heute 52-Jährige, „hätte ich auch meine ganze Karriere dort verbringen können“. Doch es kam anders, ganz anders. Und dafür gab es sieben Mal gute Gründe.

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VfB Stutt gart 1985 bis 1987

Wenn man in Stuttgart-Fasanenhof aufwächst und ein talentierter Fußballer ist, dann landet man eigentlich nebenan im Stadtteil Degerloch bei den Kickers. Es sei denn, der Papa kennt wen beim VfB, dann beginnt die E-Jugend-Karriere eben ein paar Kilometer weiter nördlich in Bad Cannstatt . Klein-Michael ist ein bisschen schmächtiger als die anderen Jungs in seinem Alter, kann aber mit der Kugel umgehen. Das imponiert auch den Größeren in seiner Trainingsgruppe, zu denen auch der spätere Bochum-Profi Thomas Stickroth gehört. „Die anderen waren größer, robuster und schneller als ich“, erinnert sich Spies, „aber ich konnte ganz gut kicken...“

Weil in Stuttgart beide Klubs für gute Jugendarbeit bekannt sind, probiert Spies sie dann auch beide aus, wechselt zwischendurch zu den Kickers, wo er unter anderem mit Jürgen Klinsmann zusammenspielt. Aber irgendwie glauben sie in Degerloch nicht so richtig an eine Profi-Zukunft des sensiblen Technikers. Beim VfB schon. Also geht‘s zurück. Erst in die zweite Mannschaft, dann kommt die Chance bei den Profi s: Beim Bundesliga-Spiel in Düsseldorf stellt ihn Trainer Willi Entenmann in die Startelf. Es wird ein Traum-Debüt, nach nur 15 Erstliga-Minuten schießt Newcomer Spies gegen Torwart Jörg Schmadtke sein erstes Erstliga-Tor. Was für eine tolle Geschichte – für die sich leider keiner so richtig interessiert. Denn Klinsmann, der alte Spies-Kollege aus Kickers-Tagen, trifft in diesem Spiel gleich fünf Mal!

An den Platz im Schatten der öffentlichen Aufmerksamkeit hätte sich Spies gewöhnen können, den Glanz neidet er Klinsmann, Karl Allgöwer, Asgeir Sigurvinsson, Guido Buchwald und den anderen VfB-Stars dieser Zeit nicht. Als sich Borussia Mönchengladbach meldet, traut er sich nicht. „Ich wollte einfach nicht weg aus Stuttgart”. Aber spielen, das will er schon. Der Ausweg heißt SSV Ulm, 2. Liga, Ausleihe. Eine Stunde Fahrt mit dem Auto, das geht. Es wird ein gutes halbes Jahr, der junge Mann mit sehr viel Gefühl im Fuß empfiehlt sich für mehr. Winnie Schäfer, der ihn ein Jahr zuvor im Auftrag von Borussia Mönchengladbach kontaktiert hatte, ist jetzt Trainer des Karlsruher SC. Und in Stuttgart blockieren Allgöwer und Sigurvinsson immer noch die offensiven Mittelfeldpositionen.

„Ich war das, was man einen typischen Zehner nennt”, sagt Spies, dem die „S”-Laute immer noch zu „Sch” werden und dessen Sprachmelodie immer noch von diesem leichten Singsang geprägt ist, wie ihn nur das Schwäbische kennt. Stärken? „Gute Technik, gute Übersicht, gute lange Pässe”, sagt er. Schwächen? „Ich war kein Beißer.” Galt das auch außerhalb des Platz es? Spies denkt nach. „Könnte sein.”

Sieben Stationen in der Bundesliga: Michael Spies bei (von links) VfB Stuttgart, Karlsruher SC, Borussia Mönchengladbach, Hansa Rostock, Hamburger SV, Dynamo Dresden und VfL Wolfsburg.
Sieben Stationen in der Bundesliga: Michael Spies bei (von links) VfB Stuttgart, Karlsruher SC, Borussia Mönchengladbach, Hansa Rostock, Hamburger SV, Dynamo Dresden und VfL Wolfsburg.
Karlsruher SC 1987 bis 1989

Michael Spies ist kein Typ, der polarisiert. Dass ausgerechnet ein Schwabe wie er, der aus Stuttgart nie dringend weg wollte, nach Baden zum „Erzfeind“ Karlsruher SC wechselt, hat keinen so wirklich aufgeregt, ihn selbst am allerwenigsten. Er will zeigen, dass er gut genug ist für die Bundesliga – mit diesem Ziel tritt er beim KSC an. Zwei Jahre später wird er an die Tür zur Nationalmannschaft klopfen. Denn Trainer Schäfer setz t von Anfang an auf den Neuen, gibt ihm das Selbstvertrauen, das er für sein Spiel braucht. Spies hinterlässt seine ersten bemerkenswerten Spuren im Oberhaus und erzielt 15 Tore in 63 Spielen. Der Klassenerhalt im ersten Jahr ist für seinen Verein ein Erfolg, Platz elf im zweiten Jahr ein noch größerer. „Aber wenn die Nationalmannschaft ein Ziel sein kann, dann muss man bei einem größeren Verein spielen“, ist sich Spies sicher. Gladbach wäre so ein Verein gewesen. Hätte er vielleicht damals doch...? Während er grübelt, kommt die zweite Chance.

Heute ist Michael Spies keiner, der mit Entscheidungen in der Vergangenheit hadern würde. Er lebt seit fast 20 Jahren in Meine im Landkreis Gifhorn, ist glücklich verheiratet, Ehefrau Petra und er haben jeweils einen Sohn mit in die Ehe gebracht, beide sind erwachsen. Ihnen geht‘s gut, sie haben vor vier Jahren noch mal ein Haus am Ortsrand gebaut, nur wenige Meter von der alten Adresse entfernt. Damit die Patchwork-Familie eine noch schönere Basis hat. Nach Sollbruchstellen seiner Karriere muss man ihn fragen, von alleine spricht er nicht darüber. „Möglicherweise”, so gibt er nach einigem Drängen zu, „wäre vieles anders gelaufen, wenn ich damals in Karlsruhe geblieben wäre...”

Borussia Mönchengladbach 1989 bis 1991

Mönchengladbach, der Bökelberg. Das klingt nach Fußballtradition, nach Europacup-Abenden, nach Titeln. In der Theorie. In der Realität steht Trainer Wolf Werner in Spies‘ erster Bökelberg-Saison auf verlorenem Posten, weil seine Spieler fast allesamt ihren eigenen Ansprüchen hinterherlaufen. Aber Spies, der Neuzugang vom KSC, bekommt sofort einen Stammplatz , steht in fast jeder Partie in der Startelf, auch im November 1989 beim 0:1 gegen Uerdingen. Es ist Werners letztes Spiel als Borussen-Coach. Zwei Wochen nachdem in Berlin die Mauer gefallen ist, ist Spies‘ beste Zeit in Mönchengladbach schon vorbei. Ein Zusammenhang, der noch eine Rolle spielen sollte.

Unter Werner-Nachfolger Gerd vom Bruch kämpft Spies dann nicht mehr um einen Platz in der Nationalmannschaft, sondern um seinen Stammplatz im Team. Christian Hochstätt er, Norbert Meier, Stefan Effenberg – der Konkurrenzkampf ist hart. Am Ende ist Gladbach 15., eine Riesenenttäuschung. Das zweite Jahr soll besser werden, wird es aber vor allem für Spies nicht. „Manchmal”, so erinnert er sich, „gibt es Hierarchien in einer Mannschaft, die es dir einfach schwer machen.” Gladbach rappelt sich auf, wird Neunter – aber für Spies wird es bitter. Nur fünf Mal steht er in der Saison in der Startelf. Für einen, der im Grunde Fußballprofi ist, weil er gerne Fußball spielt, ist das die Hölle. Und da er Baden-Württemberg ja sowieso schon verlassen hat, hat er keine Hemmungen mehr, überall Ausschau nach einer neuen Aufgabe zu halten. Und im Osten hat der Fall der Mauer ganz neue Perspektiven eröffnet.

Berater? Nein, einen richtigen Berater hat Michael Spies nie gehabt. Viel hat sein Vater erledigt, ein in der Baubranche erfolgreicher Geschäftsmann. Die, die Fußball als Business begreifen, sind ihm irgendwie bis heute suspekt. Obwohl er es nach der Karriere selbst versuchte, bei einer Vermarktungsfirma einstieg, die hauptsächlich im Motorsport aktiv war und eine Fußballsparte etablieren wollte. Die Sache ging schief, Spies blieb aber im Metier hängen, VfL-Profi Robin Knoche war sein prominentester Klient. Ein Spieler aus der Region, der in der Region blieb – das passt zu einem, für den Bodenständigkeit einen Wert hat. Auch wenn sein Karriereverlauf etwas anderes zu sagen scheint.


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Hansa Rostock 1991 bis 1992

„Ob Osten oder Westen, das hat mich gar nicht interessiert”, erzählt Spies. Wie ist die Mannschaft, wie ist der Verein, welches sind die Ziele, wie sind die Möglichkeiten – das war wichtig. Dass der FC Hansa in den neuen Bundesländern daheim ist, spielt kaum eine Rolle, außerdem ist es eher eine nord- als eine ostdeutsche Stadt. Und Rostock ist eine interessante Herausforderung: Letzter Meister der Ost-Oberliga, Pokalsieger, Europapokal-Teilnehmer. Trainer Uwe Reinders steht vor der Herausforderung, eine Bundesliga-taugliche Mannschaft zu formen, sammelt in Gladbach Michael Spies, Frantisek Straka und Olaf Bodden ein. Und er bastelt ein Team, das sensationell funktioniert, am zweiten Spieltag beim FC Bayern 2:1 gewinnt und nur eine Niederlage in den ersten sieben Spielen kassiert. Spies wohnt wie einige andere Mannschaftskollegen auch in einem Hotel in Gral-Müritz direkt an der Ostsee, zum Training kann man mit der Fähre fahren. Nie in seiner Karriere ist er so unumstritten wie in Rostock, steht in allen Spielen der Saison in der Startelf, spielt fast immer durch. Acht Liga-Tore schießt er in der Hinserie, dazu kommt ein Kopfball-Treffer zum 1:0-Sieg gegen den großen FC Barcelona, der allerdings das Hinspiel mit 3:0 für sich entschieden hat und am Ende der Saison den Europapokal der Landesmeister, die heutige Champions League, gewinnen wird.

Die Hansa-Mannschaft ist erstaunlich stabil, der Klub ist es nicht, kann es vielleicht so kurz nach der Wende auch gar nicht sein. Zwischen Trainer Reinders und der Vereinsführung um Präsident Gerd Kische rumort es, nach einem 0:0 gegen Duisburg muss Reinders gehen. Der besondere Spirit, der die Mannschaft noch in der Hinrunde ausgezeichnet hat, ist weg – und Reinders-Nachfolger Erich Rutemöller gewinnt von seinen elf Liga-Spielen nur noch zwei; darunter das 2:1 gegen Eintracht Frankfurt, das den Hessen am letz ten Spieltag die Meisterschaft klaut. Weil aber die Stuttgarter Kickers und Wattenscheid 09 ihre letz ten Spiele auch gewinnen, steigt Hansa ab. Michael Spies hat sich zu diesem Zeitpunkt an zwei Dinge gewöhnt: Zum einen daran, ein etablierter Bundesliga-Spieler zu sein. Und zum anderen daran, dass Vereinswechsel Teil des Geschäfts sind. Und darum hört er interessiert zu, als der HSV anruft.

Wenn Michael Spies über Fußball redet, ist die Begeisterung deutlich zu hören. Er verfolgt auch den VfL intensiv, man kann mit ihm herrlich schimpfen und leidenschaftlich über Aufstellung, Einstellung, Spielverläufe, Fehler und Highlights diskutieren. Aber er ist keiner, der anderen laut und öffentlich seine Sicht der Dinge aufdrängen würde. „Ich bin geradeheraus”, sagt er über sich, „aber wenn einer eine andere Meinung hat, dann ist das okay.” Nur offen müsse man damit umgehen. „Wenn man hinterm Rücken redet, wenn man nicht ehrlich ist, wenn man‘s mir nicht ins Gesicht sagen kann, das kann ich nicht ausstehen. Und dann bin ich auch menschlich enttäuscht.”

Ein besonderes Tor: Michael Spies trifft für Hansa Rostock per Kopf im Rückspiel des Europapokals der Landesmeister gegen den FC Barcelona, Olaf Bodden (rechts) schaut gebannt zu.
Ein besonderes Tor: Michael Spies trifft für Hansa Rostock per Kopf im Rückspiel des Europapokals der Landesmeister gegen den FC Barcelona, Olaf Bodden (rechts) schaut gebannt zu.
Hamburger SV 1992 bis 1994

Egon Coordes? Ja, genau jener Egon Coordes, der damals als Cheftrainer des VfB Stuttgart den jungen Michael Spies in der Reserve noch übersehen hatte, ist nun der Meinung, dass dieser Spies prima in sein Hamburger Team passen könnte, das er nach einem enttäuschenden zwölften Platz wieder Richtung Europa führen soll. Und Spies macht das, was er auch bei seinem Abschied aus Gladbach gemacht hat: Er wechselt als Gruppe, diesmal zusammen mit den Hansa-Profi s Thomas Lässig und Florian Weichert. Für Spies geht die Saison gut los, für den HSV leider nicht. Schon im September muss Coordes gehen, Benno Möhlmann übernimmt. Und mit dem Neuen wird Spies nie richtig warm, pendelt fortan nur zwischen Bank und Tribüne. Am Saisonende will er weg, der HSV lässt ihn nicht. Zum Einsatz kommt er aber nur noch sporadisch, als Joker. Wie etwa im Oktober 1993, als der 1. FC Köln schon 4:0 in Hamburg führt. Spies dreht nach seiner Einwechslung auf, erzielt ein Tor, leitet ein weiteres ein, seinen Anschlusstreff er verhindert Nationaltorwart Bodo Illgner mit einer Riesenparade. Dass er im nächsten Spiel von Beginn an dabei ist, steht für die Hamburger Medien quasi fest. „Und genau das hat dem Trainer wohl nicht gefallen”, mutmaßt Spies. Im nächsten Spiel ist er nicht einmal im Kader – ein Zustand, der sich in den fünf Monaten bis Saisonende nicht mehr ändern wird. Und in Hamburg sagte einer Tschüs.

Ob Trainer für einen wie ihn der richtige Job ist, sein könnte oder gewesen wäre, da ist sich Michael Spies nicht so sicher. Die A-Lizenz hat er gemacht, die für den Profifußball nötige Fußballlehrer-Ausbildung nicht. „Als Trainer im Profi-Bereich”, so sagt er, „musst du ja bei jedem Vereinswechsel umziehen. Das wäre dann ja genau das Leben, das ich als Spieler geführt habe, aber eigentlich nie wirklich wollte.” Zwei Stationen als Coach hatte er, den SSV Kästorf und den SSV Vorsfelde. Jeweils nicht unerfolgreich, wie Spies im Rückblick findet, aber wenn man Fußball auf professioneller Ebene betrieben hat, ist es nicht immer leicht, mit den Unwägbarkeiten des Amateurfußballs zurechtzukommen. Fehlender Trainingseifer, schwer zu kalkulierende Verlässlichkeit und die Befindlichkeiten von Vereinspatriarchen können eine Mischung ergeben, die den Spaß nimmt. „Vielleicht”, so Spies, „hätte ich es irgendwo in der 3. oder 4. Liga versuchen sollen, das wäre womöglich passender und darum einfacher gewesen.”

Dynamo Dresden 1994 bis 1995


Sein Rekord bringt es mit sich, dass Michael Spies viele Trainer hatte. Wenn er von ihnen spricht, spürt man bei einem Namen fast so etwas wie Begeisterung: Siggi Held. „Ein witziger Typ, total klasse”, schwärmt Spies. Dabei ist er gar nicht wegen Held zu Dynamo gewechselt, sondern quasi aus familiären Gründen. Spies‘ Vater lebte zu der Zeit in Dresden, der Heimat seiner damaligen Lebensgefährtin und heutigen Ehefrau. Und: Schon wieder war Spies Teil eines Dreierpacks, zog zusammen mit Jörn Andersen und Andreas Sassen von der einen in die andere Elbe-Stadt. Und dort hatte eben jener etwas kauzig wirkende Siggi Held das Sagen, ein Trainer, der weder für besonders abwechslungsreiche Trainingseinheiten noch für besonders originelle Ansprachen bekannt war. „Aber wir kamen einfach super mit ihm aus”, erinnert sich Spies. Der Start ist gut, nach neun Spieltagen ist Dynamo Zwölfter und Spies Stammspieler. Dann aber setzt es fünf Niederlagen in Folge, und Held wird durch Horst Hrubesch ersetzt. Auf seine Art auch kauzig, aber ein ganz anderer Typ. Spies bleibt Stammkraft und Leistungsträger, doch der Verein schwächelt – nicht zuletzt, weil Präsident Rolf-Jürgen Ott o langsam in den Ruf gerät, kein ausschließlich seriöser Geschäftsmann zu sein. Und unter Spies‘ Mitspielern gibt es wohl auch ein paar, die nur die Kohle sehen, die man in Sachsen noch mal mitnehmen kann. Es gibt aber auch welche, die fußballerisch noch was erreichen wollen, neben Spies sind das unter anderem Matthias Maucksch und Mathias Stammann. Bei allen dreien meldet sich ein Fußball-Manager aus Niedersachsen, der gerade die Zweitliga-Mannschaft seines Klubs umbauen muss. „Hallo, hier ist Peter Pander, VfL Wolfsburg.” Dass für Spies mit diesem Anruf seine Odyssee durch Deutschland quasi vorbei ist, ahnt er da noch nicht.

Doch, natürlich könnte er sich auch vorstellen, mal bei einem Verein zu arbeiten – es müsste halt das passende Angebot geben, aber grundsätzlich wäre es im Moment ein guter Zeitpunkt für eine berufliche Neuorientierung. Doch dann ist da wieder das Problem mit dem Lebensmittelpunkt. Denn aus Meine will Michael Spies eigentlich nicht mehr weg, er ist heimisch geworden am Rand des Kreises Gifhorn kurz vor den Toren Braunschweigs. Seine Frau stammt aus dem benachbarten Thune, kennengelernt hat er sie, als er beim VfL spielte. Satte drei Jahre war er in Wolfsburg aktiv. Nirgendwo in seiner Karriere blieb er länger.

Michael Spies mit seinem Hund Kayo.
Michael Spies mit seinem Hund Kayo.
VfL Wolfsburg 1995 bis 1998

Dem VfL Wolfsburg geht es 1995 finanziell nicht besonders gut, nach knapp verpasstem Aufstieg und der Niederlage im Pokalfinale muss Spielmacher Claus-Dieter „Pele” Wollitz an den 1. FC Kaiserslautern verkauft werden, um den Klub wirtschaftlich gesunden zu lassen. Pele Wollitz ist ein charismatischer Typ, oft polternd, immer leidenschaftlich, ein guter Vorlagengeber, aber mehr Antreiber und Anführer als filigraner Spielmacher. „Man kann sowieso zwei Fußballer nicht miteinander vergleichen”, sagt Spies heute, „und wenn einer geht, dann ist der Nachfolger immer anders.” Spies ist ganz anders. Wer in ihm den neuen Pele sucht, der wird nicht fündig. Das macht es am Anfang nicht leicht für Wolfsburgs neuen Zehner, der schon wieder im Dreierpack gewechselt ist – zusammen mit Maucksch und Stammann.

Trainer Gerd Roggensack mag den technisch starken Spies, aber im Oktober kommt mit Willi Reimann ein neuer Coach, der die VfL-Mannschaft körperlich anders fordert, einen anderen Umgangston pflegt und mit Spies immer mal wieder aneinander gerät. Denn es dauert seine Zeit, bis sich der Spielmacher an die strenge Art des Trainers gewöhnen will. Die Saison 1995/96 ist für den VfL zäh, der Vizepokalsieger hatte eigentlich oben mitspielen wollen, schafft aber erst am vorletz ten Spieltag den Klassenerhalt. An einen Wechsel denkt Spies dennoch nicht. „Wir hatten in der Rückrunde ja nur noch ein Spiel verloren”, erinnert er sich, „da fing der Weg nach oben ja schon an.”

In der Saison 1996/97 führt dieser Weg in die Bundesliga. Spies ist fast immer gesetzt, die Abstimmung im Mittelfeld mit Kämpfern wie Holger Ballwanz oder Jens Keller funktioniert besser denn je. Beim legendären 5:4 am letz ten Spieltag gegen Mainz leitet Spies mit präzisem Pass Prägers enorm wichtiges Tor zum 2:1 ein, der VfL steigt auf. Und dann kommt der 2. August 1997, der Tag, an dem Spies zum Rekordspieler wird: Er ist bis heute der einzige Profi , der für sieben Vereine Bundesliga-Spiele bestritten hat. Es gibt in den Medien zwar Geschichten rund um dieses Thema, aber große Schlagzeilen macht Spies nicht. „Ich selbst hätte das gar nicht gewusst”, erinnert er sich, „ich bin ab und zu mal darauf angesprochen worden, vor allem von Journalisten. Das war alles.”

Auf 22 Einsätze bringt er es in dieser Erstliga-Saison, davon allerdings nur acht in der Startelf, zwischendurch ist er verletzt. Claudio Reyna, hochtalentierte US-Leihgabe von Bayer Leverkusen, läuft ihm ein wenig den Rang ab. Spies wechselt noch mal, steht erst bei der SpVgg Unterhaching in der 2. Liga und dann in der damals dritt klassigen Regionalliga beim VfB Lübeck unter Vertrag. Sein Lebensmittelpunkt bleibt die ganze Zeit die Region Wolfsburg/Gifhorn, er schlägt Wurzeln. Pfeiffersches Drüsenfieber legt ihn zwischendurch flach, sein letztes Spiel macht er im April 2001, da ist er schon fast 36. Ein gutes Alter, um mit Berufsfußball aufzuhören.

20 Jahre: Sein Rekord feiert Jubiläum. Es gibt allerdings gar nicht so viele Geschichten über Michael Spies und diese Bestmarke. Was auch an ihm liegt. „Die meisten Bundesliga-Vereine zu haben”, so sagt er, „das klingt immer so, als wäre man unstet, unzuverlässig, ein Luftikus, ein Wandervogel. Aber das bin ich gar nicht.” Dabei kann er durchaus stolz sein auf seinen Rekord, denn bei so vielen Vereinswechseln hätte er auch dauerhaft in der 2. Liga oder bei einem mittelmäßigen Klub im Ausland landen können. Michael Spies aber kam immer wieder in der Bundesliga unter. „So kann man das natürlich auch sehen”, sagt er lächelnd und streichelt Kayo, seinen beeindruckend großen schwarzen Mischlingshund, der eine Frisbeescheibe im Maul anschleppt, und man denkt unwillkürlich, dass sich da zwei gefunden haben, die eigentlich nur spielen wollen.

Stuttgart, ja, da hätte es beruflich mal eine Perspektive geben können, erzählt Spies zum Abschluss. Und es wäre ja auch eine schöne Pointe, würde er, der Fußball-Wandervogel wider Willen, am Ende in seiner Heimatstadt landen. Doch er ist woanders angekommen, seit mehr als 20 Jahren schon. Für eine Rückkehr in die Heimat ist er einfach zu bodenständig.


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