Mario Gomez: "Ich geniesse den Fussball wie noch nie"

Ausgerechnet er, der erst spät dazugestoßen war, wurde beim VfL Wolfsburg in der Hinrunde der Mann für die klaren Worte: Mario Gomez. AZ/WAZ-Sportredakteur Engelbert Hensel sprach mit dem 31-Jährigen über sein erstes halbes Jahr in Wolfsburg, den Spaß am Beruf und über Julian Draxler.

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Wissen Sie eigentlich, dass Sie bei uns Journalisten beliebt sind?

Vielen Dank! Nein, wusste ich nicht. Aber erzählen Sie mir, warum. Das hängt bestimmt mit meinen letzten Interviews zusammen (grinst).

Ja, das stimmt. Wir nennen Sie gern mal Klartext-Mario.


Wirklich? (grinst wieder)

Sie haben sinngemäß gesagt: Wer nicht hier bleiben will, der soll das sagen und gehen... Warum?

Wenn ich spüre, dass etwas nicht so ist, wie ich denke, dass es sein sollte, sage ich das. Das hat nichts mit meinem persönlichen Empfinden zu tun, sondern ich glaube, über die Jahre gelernt zu haben, wie eine Mannschaft funktioniert und wie Mannschaften eben nicht funktionieren. Und ich will, dass unsere funktioniert!

Welches Ihrer Ex-Teams hat funktioniert?


Die meisten. Die Nationalmannschaft. Und ich denke gern an unsere Triple-Mannschaft bei Bayern, dieses Team war unglaublich. Wir hatten damals wahnsinnig viele Spieler, die top waren. Doch es konnten eben nur elf spielen.

Sie haben damals auch nicht immer gespielt...

Richtig, Mario Mandzukic und ich haben rotiert. Ein Jahr vorher hatten wir das Champions-League-Finale in München gegen Chelsea verloren, danach haben wir uns gesagt: Im nächsten Jahr lassen wir uns das Ding nicht mehr nehmen. Und diesen Zusammenhalt haben wir damals bedingungslos gelebt. 

„VIELLEICHT WURDE ICH ALS STURM-BULLE GESEHEN, DER GEGLAUBT HAT, DASS ES OHNE IHN NICHT GEHT"

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Wie?

Jeder hat sein Ego hintangestellt und gesagt: Im nächsten Jahr gibt es keine andere Mannschaft als uns. Was ich damit sagen will: Damals habe ich zum ersten Mal in meiner Karriere miterlebt, wie Dinge funktionieren können, wenn man wirklich zusammensteht. Mario Mandzukic hat 2013 im Champions-League-Finale gegen Dortmund ein Tor geschossen, aber der Trainer hat ihm kurze Zeit später gesagt, dass nicht er im Pokalfinale spielt, sondern ich. Am Ende haben wir 3:2 gewonnen und ich habe zwei Tore gemacht. Wir sind damals alle Jupp Heynckes gefolgt, weil er alle mitgenommen hat. Der Respekt vor dem Kollegen ist einfach wichtig. Daher ging es mir bei meinen Aussagen kurz vor Weihnachten nicht um mich.

Ihnen geht’s bei solchen Aussagen einzig und allein um den Erfolg des Teams?

Ja, klar. Wenn meine Karriere morgen zu Ende wäre, dann würde ich auf eine super-schöne Zeit zurückblicken. Ich genieße den Fußball im Moment so sehr wie noch nie, da will man die Zeit so positiv wie möglich gestalten.

Hätten Sie solche Dinge auch im Alter von 22 Jahren gesagt?

Nein, natürlich nicht. Früher habe ich zuerst auf meine Karriere geschaut und alles ein bisschen mehr auf mich bezogen. Vielleicht habe ich das auch ausgestrahlt und wurde als Sturm-Bulle gesehen, der geglaubt hat, dass es ohne ihn nicht geht.

Haben Sie sich denn ganz bewusst mal gesagt: Ich muss mein Image ändern?

Nein, das macht die Zeit mit dir, du wirst auch in diesem Geschäft ruhiger und gelassener. In jeder Mannschaft, in der ich gespielt habe, gab es ältere Spieler, die die Dinge offen angesprochen haben – jetzt bin eben ich einer von diesen. Manchmal bin ich vielleicht unbequem oder zu direkt, aber das Wichtigste im Mannschaftssport ist, ehrlich zueinander zu sein. Wir hatten mit dem VfL wirklich ein schweres halbes Jahr, aber trotzdem bin ich gern jeden Tag zum Training gefahren und habe mich darauf gefreut.

Woher kommt diese neue Lust am Fußball?


Das hängt sicher mit meinem WM-Aus 2014 zusammen, danach habe ich angefangen, jeden Tag den Fußball zu schätzen. Weil ich vor dem Fernseher gemerkt habe, wie sehr mir die Nationalmannschaft fehlt. 

„WENN ICH NUR ALS PRELLBOCK DIENE, WIR DIE SPIELE ABER GEWINNEN, DANN IST ALLES GUT"

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Was war im letzten halben Jahr denn positiv?

Wir mussten beim VfL ein paar Dinge ändern und haben das jetzt auch getan. Es war schon ganz gut, was in den vergangenen Wochen bei uns passiert ist.

Wie meinen Sie das konkret?

Dieses Gefühl einer fast angezogener Handbremse, das im Verein geherrscht hat, war für mich überraschend. Vielleicht kann man das mit dem Aus in der Champions League gegen Real erklären. Alle haben nach den tollen Spielen gegen Madrid gemerkt, wie schön es ist, in der Champions League zu spielen und wie langweilig es manchmal dann eben auch ohne sein kann. Dadurch hatten sicher viele Spieler gute Angebote und wollten weg, was auch ganz normal ist. Viele dieser Transfers kamen aber nicht zustande, und ich habe mir in unserer Situation gewünscht, dass alle Spieler, die da sind, sich voll mit unserer Mannschaft identifizieren. Dieses Gefühl haben wir jetzt wieder.

Wie war Ihr Gefühl, als Sie beim VfL anfingen? Wussten Sie von Beginn an, dass das Jahr so schwer wird?

Ja und nein. Ich hatte zumindest gleichzeitig die Hoffnung, dass wir einen guten Start hinlegen und diese Probleme erst mal hintangestellt sind.

Der Start war nicht gut, er hätte aber auch anders laufen können, wenn man bedenkt, wie viele Chancen auch Sie nicht verwerten konnten...

Das stimmt. Ich hätte mehr Tore machen müssen. Nichtsdestotrotz: Es wäre wohl auch mit einem guten Start ein extrem schweres Jahr geworden, weil einfach zu viele Dinge in der Luft hingen, unklar oder unausgesprochen waren. Das war eine Verkettung von vielen Sachen, die nicht so liefen, wie sie laufen müssen, wenn man Erfolg haben will. Das waren dann zusammengefasst meine ersten sechs Monate VfL... (schmunzelt) 

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Sie haben im Sommer gesagt: „Ich versuche, ein bisschen planloser zu werden“. Hat Sie diese Planlosigkeit am Ende nach Wolfsburg geführt?

Nein. Nach dem Verpassen der WM 2014, bei der ich unbedingt dabei sein wollte, habe ich aufgehört, langfristig zu planen. Bei der Entscheidung, nach Wolfsburg zu wechseln, habe ich mir gesagt: Das muss jetzt nicht unbedingt für drei, vier, fünf oder sechs Jahre sein. Solche Planspiele habe ich mit Mitte 20 gemacht – und nichts davon ist so eingetreten, wie ich mir es vorgestellt hatte. Ich will heute nicht überlegen müssen, was nächste Saison ist. Ich will das Jetzt genießen. Glauben Sie mir, ich habe den Fußball noch nie so sehr genossen wie im Moment.

Welchen Eindruck haben Sie jetzt vom Team, nachdem Trainer und Manager gehen mussten und der Kader umgebaut wurde?

Nennen wir es „Zusammenraufen“ oder „Erleichterung“. Aber das bedeutet nicht gleich, dass wir jetzt super- erfolgreich sein werden. Wir müssen immer noch die Spiele spielen, allerdings sind die Voraussetzungen jetzt wesentlich besser als noch vor ein paar Monaten. Ich habe mich nicht gut gefühlt, als Verantwortliche entlassen wurden. Aber vielleicht musste dieser Schnitt sein. Nun haben wir Spieler definitiv keine vermeintlichen Alibis mehr. Die sind jetzt weg, der Fokus liegt endlich wieder auf dem Sportlichen.

Gut, dann reden wir über Taktisches: Sind Sie als klassischer Neuner eine aussterbende Gattung im modernen Fußball?


Nein, das glaube ich nicht. Es gibt doch wieder viele sogenannte Mittelstürmer. 

Wie kommt‘s?

Ganz generell sieht man doch, dass ganz viele Mannschaften wieder nach einem Mittelstürmer suchen. Bei der Euro 2016 hat fast jeder mit einem zentralen Mittelstürmer gespielt. Das heißt jetzt nicht, dass das in den nächsten 20 Jahren so sein muss, weil der Fußball sich unfassbar schnell entwickelt. Mal war es Tiki-Taka, dann gab es das Gegenmittel mit Dreier- oder Fünfer-Abwehrkette. Dann brauchte man plötzlich wieder die Brechstange, um mal wieder ein Tor zu erzielen. Und jetzt setzt man eben wieder auf einen Fixpunkt im Strafraum.

Haben Sie das Gefühl, dass Sie auch im VfL-Spiel schon der Fixpunkt sind?

Ich will das eigentlich gar nicht sein, ich möchte, dass wir gut spielen. Und wenn ich dabei nur als Prellbock diene, wir die Spiele aber gewinnen, dann ist alles gut. Sie glauben gar nicht, wie gut es tat, die Spiele gegen Frankfurt und in Gladbach zu gewinnen. Es verbirgt sich unfassbar viel Talent in dieser Mannschaft – und ich möchte, dass wir dieses Talent endlich nutzen und nicht vergeuden.

„WENN ICH PRIVAT UNTERWEGS BIN, MACHE ICH NICHT ALLE DREI MINUTEN EIN VIDEO UND STELLE ES ONLINE"

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Ihr 2:1 in Gladbach, das letzte VfL-Tor des vergangenen Jahres, war nach einer Kombination gefallen, an der Julian Draxler maßgeblich beteiligt war...

Ich hätte mir gewünscht, dass das öfter funktioniert hätte.

Sie kennen Julian Draxler länger und besser als alle anderen beim VfL: Hat der Wechsel nach Paris etwas Befreiendes für ihn?

Julian ist ein begnadeter Fußballer und ein feiner Junge, der hier in eine Situation geraten ist, die niemand wollte, nicht mal er selbst. Aus meiner Sicht hat er hier ganz lange mit einem schweren Rucksack Fußball gespielt und war im Kopf nicht frei.

In den Spielen gegen Frankfurt und in Gladbach schien es so, als ob das mit dem Rucksack nicht mehr der Fall ist.

Das stimmt. Ab dem Moment, als es vom Verein hieß: Im Winter könne quasi jeder abwanderungswillige Spieler bei einem passenden Angebot möglicherweise wechseln, hat er diesen Rucksack abgelegt. Julian muss jetzt auf sich schauen, er hat hoffentlich eine Wahnsinns-Karriere vor sich. Ich wünsche ihm nur das Beste.

Sein Nachfolger ist Yunus Malli, inwiefern unterscheiden sich beide?

Beide sind Kreativspieler, aber ich kannte Yunus nur aus der Sportschau. Ich habe mich sehr gefreut, dass man ihn geholt hat, weil er Fähigkeiten besitzt, die wir in dieser Form noch nicht hatten. Daniel Didavi ist ein ähnlicher Spieler, aber er ist ja leider momentan noch verletzt. Für uns ist die Situation jetzt umso besser, denn wir haben nun zwei solche Spieler.

Draxler ist für über 40 Millionen nach Paris gewechselt, Sie selbst sind 2009 für 30 Millionen Euro vom VfB Stuttgart zu den Bayern gewechselt und waren damit mal der teuerste Bundesliga-Spieler – machen Sie sich einen Kopf darüber, dass mittlerweile unfassbar viel Geld im Fußball im Umlauf ist?

Ich sehe es nicht so emotional wie viele, weil man wissen muss, dass Fußball auch ein Business ist, es geht um wahnsinnige Summen. Aber Fußball ist eben der Sport schlechthin, Sponsoren oder Fernsehstationen zahlen viel, viel Geld. So plump es auch klingt: Es geht um Angebot und Nachfrage. Klar ist es verrückt, wenn ein Spieler plötzlich für 50, 60, 70 Millionen Euro den Verein wechselt. Das hat mit der normalen Arbeitswelt nichts zu tun. Aber Fußball ist eben nicht normal.

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Sondern?

Fußball ist ein Sport, der Milliarden Menschen elektrisiert...

...der aber auch dafür sorgt, dass die Spieler so im Fokus der Öffentlichkeit stehen, wie es noch nie der Fall war. Verliert man da ein Stück weit sein Privatleben?

Das ist schon so, aber das gehört dazu. Als ich 20 Jahre alt war, fand ich es toll, Aufmerksamkeit zu bekommen. Jetzt, mit 31, freue ich mich auf den Zeitpunkt nach der Karriere, wenn ich nicht mehr so häufig erkannt werde wie jetzt.

Klingt so, als ob Sie ein Problem damit hätten, im Rampenlicht zu stehen...

Nein. Als Fußball-Profi bist du teilweise gläsern. Aber sobald es nicht mehr um Fußball geht, ist mir das unangenehm, denn mein Privatleben ist mir sehr wichtig. Wenn ich privat unterwegs bin, mache ich nicht alle drei Minuten ein Video und stelle es online. Gleichwohl habe ich kein Problem damit, wenn jemand seine Lebensfreuden mit der ganzen Welt teilt.

Aber Sie nutzen doch auch soziale Medien...


Ja, die sportliche Seite, weil ich viele Fans habe, die mich seit zwölf, 13 Jahren begleiten.

Und wann ist Schluss mit der Karriere?

Wenn ich merke, dass ich nicht mehr an die Bälle komme, an die ich als Stürmer in den Spielen kommen sollte, dann werden die Gedanken dazu sicherlich da sein.

Können Sie sich vorstellen, Ihre Karriere in Wolfsburg zu beenden?

Im Moment denke ich nullkommanull an mein Karriere-Ende.

Wo landet der VfL am Saisonende?

Wichtig ist, dass wir mehr Spiele gewinnen als verlieren. In der Hinserie gab es nur Bayern und Dortmund, die uns so richtig überspielt haben, bei vielen anderen Spielen hätten Nuancen am Ende für uns den Ausschlag geben können.

Wer wird Meister?

Der FC Bayern!

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