Fangen wir einfach mal an

Der VFL Wolfsburg 2017:

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Von ANDREAS PAHLMANN

Im quasi allerletzten wichtigen Wolfsburger Moment des alten Fußballjahres sah man noch einmal, wie das Ganze eigentlich gedacht war. Per Kopf hat Maxi Arnold den weiten Ball von Diego Benaglio auf Julian Draxler weitergeleitet, der Nationalspieler behauptet sich technisch stark gegen Nico Elvedi und Andreas Christensen, wartet dann auf den sekundenbruchteilgenauen Augenblick, um Mario Gomez das Spielgerät so zu servieren, wie es ein Torjäger gern hat – frei durch, mit dem Gesicht zum Tor. Ein kurzer Antritt, eine Körpertäuschung, Torwart Yann Sommer ausgetrickst und dann hinein damit. Tor für den VfL, 2:1-Sieg kurz vor Weihnachten im Auswärtsspiel bei Borussia Mönchengladbach, schon der zweite Dreier in Folge. Urgestein Benaglio hatte das Siegtor eingeleitet, der in Wolfsburg ausgebildete Arnold hatte bei der Entstehung geholfen, der prominente Mittelstürmer Gomez hatte getroffen und das teure und edle Zauberfüßchen Draxler hatte zwischendrin die entscheidende, von außergewöhnlicher fußballerischer Qualität geprägte Aktion gehabt. Urgestein, Eigengewächs, Nationalspieler, Star – alles dabei. Die perfekte Mischung, das perfekte Resultat. So sollte er sein, der VfL nach dem Pokalsieg 2015. Und als das nicht klappte, sollte er wenigstens 2016 so sein und mit der richtigen Mischung zum Erfolg finden, sich endlich als ein Spitzenteam der Bundesliga etablieren und die mit enormen Transferumsätzen hochgezüchteten Erwartungen endlich erfüllen.

Hat auch nicht geklappt.

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Stattdessen fiel dieses Tor aus der wunderschönen Benaglio-Arnold-Draxler-Gomez-Kombination zu einer Zeit, in der man den VfL Wolfsburg Chaos-Klub nennen durfte und für diese Formulierung sogar Verständnis innerhalb des Vereins fand. Es war ziemlich viel schief gelaufen. Das Dilemma fing schon drei Wochen vor dem ersten Bundesliga-Spieltag an, als Julian Draxler gegen alle internen Regeln und Kommunikations-Gepflogenheiten hinter dem Rücken des Vereins ein Interview veröffentlichen ließ, in dem er seinen Wechselwunsch formulierte und Trainer Dieter Hecking und Manager Klaus Allofs des Wortbruchs bezichtigte.

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Eine herzliche Trainer-Umarmung vor dem Abflug in Richtung Paris St. Germain: Im letzten Spiel mit Julian Draxler fuhr der VfL Wolfsburg einen wichtigen 2:1-Sieg bei Borussia Mönchengladbach ein.
Heute muss man sagen: Die Konfrontationslage, die Draxler damit schuf, sorgte für vierfachen Schaden: Bei ihm, bei Hecking, bei Allofs, beim Verein. Keiner hat sich davon bisher richtig erholt. Hecking und Draxler haben immerhin neue Klubs gefunden, Allofs musste – wie vor ihm der Trainer auch – gehen, der VfL ist trotz der Siege in den letzten beiden Spielen 2016 immer noch in Abstiegsgefahr. Draxler daran die alleinige Schuld zu geben, ist natürlich Unsinn. Aber die zentralen Sorgen des VfL hatten mit ihm viel zu tun.

Hätten Hecking und Allofs Stärke bewiesen und Draxler in der kompletten Hinserie nicht spielen lassen, wäre die sportliche Bilanz wahrscheinlich nicht schlechter ausgefallen, Trainer und Manager hätten Stärke bewiesen und wären – keiner kann es beweisen – womöglich noch im Amt. Einerseits. Andererseits hätte ein dauersuspendierter Draxler bei einem Wechsel nach Paris keine gut 40 Millionen Euro Ablöse eingebracht, sondern deutlich weniger. Und ohne diese gut 40 Millionen Euro wäre der winterliche Kader-Umbau, den Allofs‘ Nachfolger vorantrieb, zumindest erheblich schwieriger gewesen.

OHNE DIE DRAXLER-MILLIONEN WÄRE DER WINTERLICHE

KADER-UMBAU ERHEBLICH SCHWIERIGER GEWESEN

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Neustart mit Theorie und Praxis: In der Vorbereitung auf die zweite Hälfte der Bundesliga-Saison arbeiteten Valérien Ismaël und sein Team an der taktischen Ausrichtung und am körperlichen Zustand des VfL-Kaders 
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Dieser Nachfolger heißt Olaf Rebbe und muss zusammen mit Neu-Trainer Valérien Ismaël jetzt eine Art Aufbau-Arbeit leisten. Bemerkenswert: Noch bevor die Öffentlichkeit so richtig begriff, wer Rebbe eigentlich ist und noch ehe ihn der Aufsichtsrat zum Sportdirektor beförderte, hatte der ehemalige Allofs-Assistent schon den Großteil der wichtigen Winter-Arbeit erledigt, Draxler nach Paris verkauft, den Einkauf von Riechedly Bazoer abgewickelt und erste Kontakte zu Yunus Malli und Paul-Georges Ntep geknüpft. Und zwei Tage vor dem Gladbach-Spiel im Dezember hatte er sich gemeinsam mit VW-Vorstand und VfL-Aufsichtsrat Hans-Gerd Bode mit Huddersfield- Coach David Wagner getroffen, um auszuloten, ob man nicht doch noch mal über einen Trainerwechsel nachdenken sollte. Ergebnis: Man sollte nicht. Weil aber Wagner angesichts anhaltender öffentlicher Spekulationen mit seiner „Absage“ vorpreschte, entstand für einen Moment der ungute Eindruck, Ismaël sei weiterhin eine Art Notlösung – was er für Rebbe nie war.

Diese unnötig verlängerte Trainerdiskussion im Dezember war das vorerst letzte Steinchen im Mosaik der ungeschickten VfL-Außendarstellung, seitdem läuft es auch in der öffentlichen Wahrnehmung wieder besser für den VW-Klub. Er kommt ein bisschen bescheidener, vor allem aber verlässlicher daher als im zweiten Halbjahr 2016. Denn die Gemengelage aus Da-wollen-alle-weg-Image, sportlicher Talfahrt und VW-Krise hatte im Saisonverlauf dafür gesorgt, dass die richtige und nötige Diskussion um eine Änderung der Wolfsburger Fußball-Ambitionen Schlagseite bekam: Sollte der VfL statt permanent Champions-League-Ambitionen vor sich hin zu beten vielleicht etwas mehr Zufriedenheit damit zeigen, dass er nun schon im 20. Jahr Erstligist und somit eine feste Größe im deutschen Spitzenfußball ist? Oder sollte er weiter darauf beharren, immer und immer wieder europäisch spielen zu müssen, vorzugsweise in der Königsklasse? In dieser Frage wirkte der VfL plötzlich wie ein Getriebener, der sich dem Druck der Umstände zu beugen schien: Seht ihr, kaum geht es VW mal schlechter, ist es vorbei mit den Millionen für den Fußball. Dabei hatte die Diskussion mit Geld eigentlich gar nichts zu tun, sondern zunächst einmal mit der Erkenntnis, dass sich der VfL vielleicht nicht andauernd größer machen sollte als er ist. Dass nach Maxi Arnold und Robin Knoche jetzt mit Paul Seguin wieder ein Eigengewächs eine feste Größe geworden ist, mit Jannes Horn das nächste schon bereit steht, ist ohnehin bedeutender als die Frage, ob nun 50, 80 oder 100 Millionen Euro pro Jahr ein paar Meter den Mittellandkanal entlang fließen. Diese jungen Spieler schaffen Identität, und das, so Aufsichtsratschef Francisco Garcia Sanz, „ist eine tolle Entwicklung – und da muss man auch nicht gleich einen Strategiewechsel ausrufen, um das gut zu finden.“

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Der nächste Spieler, dasselbe Motiv: VfL-Sportdirektor Olaf Rebbe und Trainer Valérien Ismaël mit den Wolfsburger Winterpausen- Neuzugängen.
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So paradox es klingen mag: Die aktuelle sportliche Lage hilft dem VfL sogar beim Imagewandel. Denn die Stimmung im Team und rund um den Verein ist zwar wieder gut, doch gesichert ist noch gar nichts, und der Abstiegskampf muss weiterhin ernsthaft als solcher begriffen werden. Neu-Nationalspieler Yannick Gerhardt brachte es im WAZ-Interview auf den Punkt: „Natürlich haben die letzten beiden Siege vor der Winterpause uns Auftrieb und Selbstvertrauen gegeben. Das spürt man auch im Training, aber es ist noch viel zu früh zu sagen, dass wir durchmarschieren werden. Wir müssen den Abstiegskampf weiterhin sehr ernst nehmen.“ Um es ganz deutlich zu sagen: 16 Punkte aus 16 Spielen sind ein Blamage, sonst nichts. Von Europa faselt darum (fast) keiner mehr. Und das ist vorläufig auch gut so. „Wir wollen schnell 40 Punkte haben, erst dann reden wir über neue Ziele“, sagte Rebbe. Plötzlich klingt Wolfsburg ein bisschen wie Mainz, Augsburg oder Köln – und alle finden‘ s gut. Dass Rebbe selbst TV-Interviews zuletzt noch gemieden hat, die Arbeit im Team mit den Geschäftsführerkollegen immer wieder betonte, alles andere als eine Rampensau ist und glaubwürdig versicherte: „Ich nehme mich selbst da nicht so wichtig“, unterstützte diesen Eindruck noch. 

DIE STIMMUNG RUND UM DEN VEREIN IST ZWAR WIEDER

GUT, DOCH GESICHERT IST BEI DIESEM VFL NOCH GAR NICHTS


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Auch dass in diesem VfL-Kader wieder ein bisschen Fantasie, ein bisschen mehr Hoffnung steckt, beruhigt die nach eineinhalb mauen und zum Teil ärgerlichen Jahren gereizte Fan-Seele. Für seine Transferentscheidungen bekam Rebbe in einschlägigen Foren und Netzwerken schon mal reichlich Lob, was auch an den Neuzugängen liegt. Yunus Malli kann Bundesliga-Spiele entscheiden, Paul-Georges Ntep bringt die oft vermisste Geschwindigkeit mit, Riechedly Bazoer ist ein herausragendes Talent mit viel Potenzial, und Victor Osimhen eine Sturmhoffnung. Ob sie und ihre formschwankenden Wolfsburger Kollegen aber ein Team bilden können, das dem Tabellendruck standhält und auch fußballerisch endlich wieder Qualität hat, das müssen alle Beteiligten erst noch beweisen. Allen voran der Trainer, der wie sein Sportdirektor ein Frischling im Bundesliga-Geschäft ist und nur so lange keine Angst vor den „Scharfschützen“, wie er sie nennt, haben muss, so lange die sportliche Bilanz stimmt. Dass die vorerst beim VfL nicht mehr sehr gut, sondern nur noch ordentlich sein muss, hilft vielleicht. 

Im Winter hat Ismaël an den Stellschrauben gedreht, die ein Trainer eben so hat: Taktische Variabilität erhöhen, konditionelle Grundlagen legen. Der Verein kam ihm dabei entgegen, sagte die eigentlich aus PR-Gründen für enorm wichtig gehaltene Florida-Reise ab und schlug stattdessen das Trainingslager-Quartier in La Manga auf, wo die Wege kürzer waren, die Plätze besser und der Fokus viel stärker auf intensiver Trainingsarbeit lag. 

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Die gute Laune war auch wieder da: Christian Träsch und Daniel Caligiuri im Trainingslager in La Manga.
Am Ende dieser Woche, in der man die Profis und den Trainer gutlaunig wie selten in dieser Saison erlebte, war von dem „Da-wollen-alleweg“- Klub quasi gar nichts mehr übrig. „Ich habe das Gefühl, dass alle, die hier sind, Lust auf diese Rückrunde haben“, stellte Nationalstürmer Mario Gomez fest, der im ersten Saisonabschnitt immer wieder als kluger VfL-Mahner aufgefallen war.

Und so pendelt der VfL vorerst nicht mehr zwischen Lachnummer und Sorgenkind der Liga, sondern ist plötzlich „das wohl spannendste Projekt der Rückrunde“, wie das Internetportal „Lattenkreuz“ feststellte. Das geht vielleicht ein bisschen weit. Aber die Richtung ist ja schon nicht schlecht. Und was den Rest des Weges angeht: Fangen wir einfach mal an.  

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