Ab wann haben Sie an den Titel geglaubt, Herr Magath? "Eigentlich nie"
Zehn Jahre danach: AZ/WAZ-Sportredakteur Andreas Pahlmann traf sich mit Wolfsburgs Meistertrainer Felix Magath zum Interview. Ein XXL-Gespräch (nicht nur) über alte Zeiten.
Herr Magath, Sie haben im Januar 2009 im Winter-Trainingslager in Südspanien dem Mannschaftsrat erklärt, dass Sie Meister werden wollen. Da waren Sie mit dem VfL Wolfsburg gerade Neunter in der Bundesliga. Haben Sie selbst daran geglaubt?
Natürlich nicht. Das wäre ja auch vermessen gewesen.
Aber Sie haben es für möglich gehalten?
Ich kann ja nicht in die Zukunft sehen. Aber ich habe in meiner Zeit als Spieler und Trainer gelernt, dass die meisten Menschen sich selbst begrenzen. Und das ist falsch. Es gibt nur wenige Menschen, die Ziele anstreben, die weit weg scheinen – und die sie dann auch erreichen. Manche schaffen es aufgrund einer besonderen Motivation, manche auch aus Not oder Angst. Nur: Setzen muss man sich die Ziele, auch wenn sie unrealistisch scheinen.
Aber wenn Sie so ein Ziel ausgeben, müssen Sie doch zumindest die Fantasie haben, dass es erreichbar ist.
Ich habe damals gesagt, wir können Meister werden. Ich habe es nicht als Ziel ausgegeben.
Aber dann die Medizinbälle rausgeholt, damit es klappt?
Das ist auch so ein Thema. Dass ich immer nur auf Konditionsarbeit und das Quälix-Image reduziert werde, ist natürlich Unsinn. Es ging ja nie darum, die Spieler einfach nur fit zu machen. Es ging darum, sie besser zu machen und vor allem ging es darum, sie gesund zu halten. Wir hatten – und das war ein Verdienst von Werner Leuthard – in der Rückrunde der Meistersaison beim VfL kaum Verletzte, obwohl wir hart trainiert haben. In den wichtigen Spielen fiel keiner aus, das war ein ganz großer Faktor.
Aber das allein ist ja keine Erklärung dafür, dass die Rückrunde so viel besser war als die Hinrunde – wie übrigens auch schon in der Saison davor.
Es haben ja immer nur die wenigsten einsehen wollen – das war in Wolfsburg so und anderswo auch –, dass es seine Zeit braucht. Als ich 2007 anfing waren nur noch zwölf Spieler da...
...aber genug Geld, Neue nach Ihren Vorstellungen zu holen.
Das war ein Vorteil, gerade für mich, natürlich. Ich wusste, was ich als Trainer will, und hatte als Manager die Möglichkeit, das ohne Reibungsverlust umzusetzen. Wenn Sie im Verein einen Trainer und einen Manager oder einen Trainer und einen Sportvorstand haben, haben Sie immer schon einmal mindestens zwei Meinungen.
Natürlich nicht. Das wäre ja auch vermessen gewesen.
Aber Sie haben es für möglich gehalten?
Ich kann ja nicht in die Zukunft sehen. Aber ich habe in meiner Zeit als Spieler und Trainer gelernt, dass die meisten Menschen sich selbst begrenzen. Und das ist falsch. Es gibt nur wenige Menschen, die Ziele anstreben, die weit weg scheinen – und die sie dann auch erreichen. Manche schaffen es aufgrund einer besonderen Motivation, manche auch aus Not oder Angst. Nur: Setzen muss man sich die Ziele, auch wenn sie unrealistisch scheinen.
Aber wenn Sie so ein Ziel ausgeben, müssen Sie doch zumindest die Fantasie haben, dass es erreichbar ist.
Ich habe damals gesagt, wir können Meister werden. Ich habe es nicht als Ziel ausgegeben.
Aber dann die Medizinbälle rausgeholt, damit es klappt?
Das ist auch so ein Thema. Dass ich immer nur auf Konditionsarbeit und das Quälix-Image reduziert werde, ist natürlich Unsinn. Es ging ja nie darum, die Spieler einfach nur fit zu machen. Es ging darum, sie besser zu machen und vor allem ging es darum, sie gesund zu halten. Wir hatten – und das war ein Verdienst von Werner Leuthard – in der Rückrunde der Meistersaison beim VfL kaum Verletzte, obwohl wir hart trainiert haben. In den wichtigen Spielen fiel keiner aus, das war ein ganz großer Faktor.
Aber das allein ist ja keine Erklärung dafür, dass die Rückrunde so viel besser war als die Hinrunde – wie übrigens auch schon in der Saison davor.
Es haben ja immer nur die wenigsten einsehen wollen – das war in Wolfsburg so und anderswo auch –, dass es seine Zeit braucht. Als ich 2007 anfing waren nur noch zwölf Spieler da...
...aber genug Geld, Neue nach Ihren Vorstellungen zu holen.
Das war ein Vorteil, gerade für mich, natürlich. Ich wusste, was ich als Trainer will, und hatte als Manager die Möglichkeit, das ohne Reibungsverlust umzusetzen. Wenn Sie im Verein einen Trainer und einen Manager oder einen Trainer und einen Sportvorstand haben, haben Sie immer schon einmal mindestens zwei Meinungen.
Mittlerweile oft noch mehr.
Ja, heute gibt es ja auch Kaderplaner und was weiß ich nicht alles für Posten, das ist ja richtig lustig. Aber je mehr Meinungen man hat, desto mehr verwässert sich die Idee von dem Fußball, den man eigentlich spielen lassen will.
Wie war Ihre Idee, als Sie 2007 in Wolfsburg anfingen?
Ich wollte über die Flügel spielen. Dazu brauchte ich Außenverteidiger, die offensiv marschieren können, und Stürmer, die groß sind. Gefunden haben wir dann Riether, Schäfer, Dzeko, Grafite.
Wie haben Sie die gefunden? Anfang Mai stand ja noch gar nicht fest, dass Sie zum VfL kommen, da wurde die Zeit eng.
Und wie. Als mich VW-Chef Martin Winterkorn fragte, war ich ja gerade bei meinem Vater in der Karibik. Ich bin also über New York und London nach Braunschweig geflogen, habe mich mit dem Aufsichtsrat getroffen und entschieden, dass ich das mache, dann bin ich über Frankfurt und Madrid zurück nach Puerto Rico und habe erst einmal telefoniert. Ich kannte ja die Wolfsburger Scouts noch gar nicht, ich musste auf meine Kontakte zurückgreifen. Also habe ich Bernd Hollerbach angerufen und ihn gebeten, sich in Bosnien doch bitte mal das erste Länderspiel eines gewissen Edin Dzeko anzuschauen.
„Ich wusste, was ich als Trainer will, und hatte als Manager die Möglichkeit, das ohne Reibungsverlust umzusetzen“
Wie waren Sie denn auf den gekommen?
Über die Fakten. Kaum älter als 20, groß, kommender Nationalspieler und offenbar ehrgeizig, sonst wäre er nicht schon von Bosnien in die tschechische Liga gewechselt. Dass er als Spieler aus dem ehemaligen Jugoslawien technisch gut ist, davon konnte man ausgehen. Und wir wussten ja, dass wir Spieler finden mussten, die... nun, wie soll ich es sagen, ohne dass jemand in Wolfsburg beleidigt ist...
...Spieler, die bereit waren, in eine Stadt wie Wolfsburg zu kommen?
Jetzt haben Sie es gesagt. Aber es stimmt schon. Es mussten Spieler sein, die noch nicht so riesig erfolgreich waren und die nicht schon erste Kontakte zu anderen Klubs hatten.
Über die Fakten. Kaum älter als 20, groß, kommender Nationalspieler und offenbar ehrgeizig, sonst wäre er nicht schon von Bosnien in die tschechische Liga gewechselt. Dass er als Spieler aus dem ehemaligen Jugoslawien technisch gut ist, davon konnte man ausgehen. Und wir wussten ja, dass wir Spieler finden mussten, die... nun, wie soll ich es sagen, ohne dass jemand in Wolfsburg beleidigt ist...
...Spieler, die bereit waren, in eine Stadt wie Wolfsburg zu kommen?
Jetzt haben Sie es gesagt. Aber es stimmt schon. Es mussten Spieler sein, die noch nicht so riesig erfolgreich waren und die nicht schon erste Kontakte zu anderen Klubs hatten.
Gab es damals Spieler, die sie gern gehabt hätten, aber nicht bekommen haben, weil der Standort nicht attraktiv genug war?
Das kann ich wirklich nicht sagen, weil wir immer zuallererst geguckt haben, ob der Spieler bereit wäre, zum VfL zu kommen. Nur mit denen haben wir uns dann ernsthafter beschäftigt, die anderen haben wir gleich wieder vergessen. Haben Sie Dzeko vor der Verpflichtung überhaupt selbst spielen sehen?
Nein, dafür war keine Zeit. Die englischen und spanischen Klubs haben damals ja auch schon das Scouting intensiver betrieben als die Bundesligisten. Wir mussten einfach schneller sein. Schlechte Spieler kannst du jahrelang beobachten, aber die guten, die sind schnell weg, da kann ich nicht noch vier Scouts hinschicken oder aufs nächste Länderspiel warten.
als sie Dzeko hatten, kam Grafite dazu. Den kannte in Deutschland keiner...
...ich auch nicht.
Dann hat ihn jemand empfohlen?
Wie das so ist: Man kennt die Branche, telefoniert und sagt, was man braucht und schaut dann, was angeboten wird. Dzeko war ja schon da, eher ein Techniker – da brauchte ich noch einen für Kraft und Dynamik.
Aber bis die beiden zusammenpassten, dauerte es etwas.
Natürlich, die beiden und auch alle anderen spielen ja nicht von jetzt auf gleich wie aus einem Guss. Das dauert, das will manchmal nur keiner einsehen. Ich kann mich noch an Schlagzeilen erinnern wie „Wenn der VfL dieses Spiel verliert, dann hat er die schlechteste Hinrunde seiner Bundesliga-Geschichte gespielt“, womöglich war die ja von Ihnen.
Das kann ich wirklich nicht sagen, weil wir immer zuallererst geguckt haben, ob der Spieler bereit wäre, zum VfL zu kommen. Nur mit denen haben wir uns dann ernsthafter beschäftigt, die anderen haben wir gleich wieder vergessen. Haben Sie Dzeko vor der Verpflichtung überhaupt selbst spielen sehen?
Nein, dafür war keine Zeit. Die englischen und spanischen Klubs haben damals ja auch schon das Scouting intensiver betrieben als die Bundesligisten. Wir mussten einfach schneller sein. Schlechte Spieler kannst du jahrelang beobachten, aber die guten, die sind schnell weg, da kann ich nicht noch vier Scouts hinschicken oder aufs nächste Länderspiel warten.
als sie Dzeko hatten, kam Grafite dazu. Den kannte in Deutschland keiner...
...ich auch nicht.
Dann hat ihn jemand empfohlen?
Wie das so ist: Man kennt die Branche, telefoniert und sagt, was man braucht und schaut dann, was angeboten wird. Dzeko war ja schon da, eher ein Techniker – da brauchte ich noch einen für Kraft und Dynamik.
Aber bis die beiden zusammenpassten, dauerte es etwas.
Natürlich, die beiden und auch alle anderen spielen ja nicht von jetzt auf gleich wie aus einem Guss. Das dauert, das will manchmal nur keiner einsehen. Ich kann mich noch an Schlagzeilen erinnern wie „Wenn der VfL dieses Spiel verliert, dann hat er die schlechteste Hinrunde seiner Bundesliga-Geschichte gespielt“, womöglich war die ja von Ihnen.
„So einen Spieler wie Grafite hatte ich ansonsten in meiner ganzen Trainer-Karriere nicht“
Wenn‘s faktisch richtig war, kann das gut sein.
Ist aber sehr ungeduldig.
Während der Hinrunde im Jahr vor der Meisterschaft haben Sie Geduld angemahnt und gebetsmühlenartig wiederholt, dass die Rückrunde besser wird – und hatten Recht, am letzten Spieltag sprang der VfL noch auf einen UEFA-Cup-Platz. War das auch wichtig für Ihre Glaubwürdigkeit?
Ja, absolut. Wir sind dann ja Fünfter geworden, was der Mannschaft natürlich auch Selbstbewusstsein gegeben hat. Und wenn so etwas passiert und man als Trainer sagen kann „Ich hatte Recht“, dann glauben einem die Spieler auch, wenn man ein halbes Jahr später als Neunter sagt, dass man Meister werden kann.
Im Sommer vor der Meistersaison hatten Sie das Gerüst der Meistermannschaft schon zusammen.
Ja, aber ich hatte auch noch eine Riesenbaustelle im Kader: Marcelinho. Der war ja noch da, als wir Zvjezdan Misimovic schon verpflichtet hatten. Um mit der Mannschaft einen Schritt nach vorn zu machen, brauchte ich einen wie Zwetschge auf der Zehn. Ich brauchte keinen, der wie Marcelinho selbst den Abschluss sucht, ich brauchte einen, der andere in Szene setzt. Aber ich konnte Marcelinho schlecht draußen lassen, dazu war er als Figur zu wichtig. Er hatte ja auch Tolles geleistet für den VfL und war in meiner ersten Wolfsburg-Saison mein Kapitän. Erst als Mitte August sein Wechsel nach Rio perfekt war, hatten wir klare Verhältnisse.
Vorher waren noch zwei italienische Weltmeister gekommen.
Ja, aber die beiden waren nicht meine Idee.
Sondern?
Ich saß mit Bernd Osterloh zusammen, dem VW-Betriebsrats-Chef. Und er sagte zu mir: „Mensch, Herr Magath, wir haben so viele italienische Mitarbeiter hier in Wolfsburg, da wäre es doch eine prima Sache, wenn Italiener für den VfL spielen.“ Ich hab‘ halb im Scherz gesagt: „Herr Osterloh, wenn Sie das wollen, dann mach ich das.“ Und so hat er mich auf die Idee gebracht. Wir hatten schnell Cristiano Zaccardo und Andrea Barzagli im Auge, bei Barzagli dauerte es etwas länger, bis das perfekt war, er war ja auch der teurere von den beiden. Sie kamen dann zusammen im Trainingslager in der Schweiz an und haben erst einmal nicht schlecht gestaunt.
Ist aber sehr ungeduldig.
Während der Hinrunde im Jahr vor der Meisterschaft haben Sie Geduld angemahnt und gebetsmühlenartig wiederholt, dass die Rückrunde besser wird – und hatten Recht, am letzten Spieltag sprang der VfL noch auf einen UEFA-Cup-Platz. War das auch wichtig für Ihre Glaubwürdigkeit?
Ja, absolut. Wir sind dann ja Fünfter geworden, was der Mannschaft natürlich auch Selbstbewusstsein gegeben hat. Und wenn so etwas passiert und man als Trainer sagen kann „Ich hatte Recht“, dann glauben einem die Spieler auch, wenn man ein halbes Jahr später als Neunter sagt, dass man Meister werden kann.
Im Sommer vor der Meistersaison hatten Sie das Gerüst der Meistermannschaft schon zusammen.
Ja, aber ich hatte auch noch eine Riesenbaustelle im Kader: Marcelinho. Der war ja noch da, als wir Zvjezdan Misimovic schon verpflichtet hatten. Um mit der Mannschaft einen Schritt nach vorn zu machen, brauchte ich einen wie Zwetschge auf der Zehn. Ich brauchte keinen, der wie Marcelinho selbst den Abschluss sucht, ich brauchte einen, der andere in Szene setzt. Aber ich konnte Marcelinho schlecht draußen lassen, dazu war er als Figur zu wichtig. Er hatte ja auch Tolles geleistet für den VfL und war in meiner ersten Wolfsburg-Saison mein Kapitän. Erst als Mitte August sein Wechsel nach Rio perfekt war, hatten wir klare Verhältnisse.
Vorher waren noch zwei italienische Weltmeister gekommen.
Ja, aber die beiden waren nicht meine Idee.
Sondern?
Ich saß mit Bernd Osterloh zusammen, dem VW-Betriebsrats-Chef. Und er sagte zu mir: „Mensch, Herr Magath, wir haben so viele italienische Mitarbeiter hier in Wolfsburg, da wäre es doch eine prima Sache, wenn Italiener für den VfL spielen.“ Ich hab‘ halb im Scherz gesagt: „Herr Osterloh, wenn Sie das wollen, dann mach ich das.“ Und so hat er mich auf die Idee gebracht. Wir hatten schnell Cristiano Zaccardo und Andrea Barzagli im Auge, bei Barzagli dauerte es etwas länger, bis das perfekt war, er war ja auch der teurere von den beiden. Sie kamen dann zusammen im Trainingslager in der Schweiz an und haben erst einmal nicht schlecht gestaunt.
Warum?
Naja, die waren in Italien anderes Training gewohnt. Bei mir wurde auch mal ohne Ball trainiert, das kannten sie nicht.
Heute trainieren viele Kollegen komplett mit Ball, auch Ausdauer. Fußballer sind ja keine Leichtathleten.
Ach, hören Sie doch auf. Konditionseinheiten in der Vorbereitung sind wichtig. Nicht nur, weil man dadurch mehr und besser laufen kann, sondern auch für den Kopf. Der Spieler lernt, den Punkt, an dem es eigentlich nicht mehr geht, zu überwinden. Als ich Profi wurde, war meine erste Trainingseinheit 1974 in Saarbrücken unter Slobodan Cendic ein Waldlauf, bei dem ich zwischendurch abbiegen und mich übergeben musste. Und weil man als junger Spieler keine Schwäche zeigen will, bin ich anschließend weitergelaufen und habe gemerkt: Das geht ja tatsächlich. So etwas prägt.
Fiel Barzagli diese Anpassung leichter? Oder warum erwies er sich als der sportlich deutlich Wertvollere der beiden Italiener?
Zaccardo fehlte es an taktischer Disziplin. Und Andrea hatte natürlich enorme Qualität und auch schon mehr Erfahrung.
Für die Zaccardo-Position haben Sie dann ein halbes Jahr vor der Meisterschaft noch Peter Pekarik geholt. Ein kleines, aber wichtiges Schräubchen?
Richtig – und ein klassisches Beispiel dafür, dass es manchmal eine Kleinigkeit braucht, die eine Mannschaftsleistung deutlich besser macht.
Gab es in dem Meister-Kader einen Spieler, von dem Sie heute sagen, er war besonders entscheidend?
Ja. Grafite. Er war mein wichtigster Spieler.
Wegen seiner Tore?
Auch, aber das meine ich nicht. Ich erzähle Ihnen eine Geschichte dazu: Er war gerade ein paar Tage bei uns, da hat er sich in einem Testspiel gegen unsere U23 verletzt. Der Knöchel war richtig dick, war auch am Tag danach, einem Donnerstag, nicht abgeschwollen und die Ärzte schlossen einen Einsatz am Samstag in Cottbus aus. Am Freitag kommt er plötzlich mit Sporttasche in die Kabine. Ich frage ihn: „Graffa, was willst du mit der Sporttasche?“ „Ich will spielen“, hat er gesagt. Ich habe ihn groß angeguckt: „Was willst du?“ Ich hatte ihn ja gar nicht auf dem Zettel mit seinem dicken Knöchel. Und die ganze Zeit hatte er dabei gute Laune. Egal, ob er angeschlagen war oder ob das Training hart war: Er hat nie gemault, war nie negativ. Diese Einstellung hat mir enorm gefallen, so einen Spieler hatte ich ansonsten in meiner ganzen Trainer-Karriere nicht – vorher nicht und hinterher nicht. Dabei waren gerade für ihn als großen und schweren Spieler die Lauf-Einheiten immer viel schwieriger als für die kleinen, drahtigen Ausdauer-Typen. Aber egal, wie hart es war – Graffa war der, der gute Laune hatte und verbreitete.
Naja, die waren in Italien anderes Training gewohnt. Bei mir wurde auch mal ohne Ball trainiert, das kannten sie nicht.
Heute trainieren viele Kollegen komplett mit Ball, auch Ausdauer. Fußballer sind ja keine Leichtathleten.
Ach, hören Sie doch auf. Konditionseinheiten in der Vorbereitung sind wichtig. Nicht nur, weil man dadurch mehr und besser laufen kann, sondern auch für den Kopf. Der Spieler lernt, den Punkt, an dem es eigentlich nicht mehr geht, zu überwinden. Als ich Profi wurde, war meine erste Trainingseinheit 1974 in Saarbrücken unter Slobodan Cendic ein Waldlauf, bei dem ich zwischendurch abbiegen und mich übergeben musste. Und weil man als junger Spieler keine Schwäche zeigen will, bin ich anschließend weitergelaufen und habe gemerkt: Das geht ja tatsächlich. So etwas prägt.
Fiel Barzagli diese Anpassung leichter? Oder warum erwies er sich als der sportlich deutlich Wertvollere der beiden Italiener?
Zaccardo fehlte es an taktischer Disziplin. Und Andrea hatte natürlich enorme Qualität und auch schon mehr Erfahrung.
Für die Zaccardo-Position haben Sie dann ein halbes Jahr vor der Meisterschaft noch Peter Pekarik geholt. Ein kleines, aber wichtiges Schräubchen?
Richtig – und ein klassisches Beispiel dafür, dass es manchmal eine Kleinigkeit braucht, die eine Mannschaftsleistung deutlich besser macht.
Gab es in dem Meister-Kader einen Spieler, von dem Sie heute sagen, er war besonders entscheidend?
Ja. Grafite. Er war mein wichtigster Spieler.
Wegen seiner Tore?
Auch, aber das meine ich nicht. Ich erzähle Ihnen eine Geschichte dazu: Er war gerade ein paar Tage bei uns, da hat er sich in einem Testspiel gegen unsere U23 verletzt. Der Knöchel war richtig dick, war auch am Tag danach, einem Donnerstag, nicht abgeschwollen und die Ärzte schlossen einen Einsatz am Samstag in Cottbus aus. Am Freitag kommt er plötzlich mit Sporttasche in die Kabine. Ich frage ihn: „Graffa, was willst du mit der Sporttasche?“ „Ich will spielen“, hat er gesagt. Ich habe ihn groß angeguckt: „Was willst du?“ Ich hatte ihn ja gar nicht auf dem Zettel mit seinem dicken Knöchel. Und die ganze Zeit hatte er dabei gute Laune. Egal, ob er angeschlagen war oder ob das Training hart war: Er hat nie gemault, war nie negativ. Diese Einstellung hat mir enorm gefallen, so einen Spieler hatte ich ansonsten in meiner ganzen Trainer-Karriere nicht – vorher nicht und hinterher nicht. Dabei waren gerade für ihn als großen und schweren Spieler die Lauf-Einheiten immer viel schwieriger als für die kleinen, drahtigen Ausdauer-Typen. Aber egal, wie hart es war – Graffa war der, der gute Laune hatte und verbreitete.
„Als mich Schalke kontaktierte, hatte ich schon entschieden, dass ich Wolfsburg nach der Saison verlassen werde“
Und die Mitspieler ansteckte?
Natürlich. Wenn Sie so einen im Kader haben, dann setzt der ja auch Maßstäbe für die anderen, zieht die anderen mit. Graffa hatte nicht nur den Willen, der hatte auch die Siegermentalität – und vor allem hatte er keine Angst, nicht vor Gegenspielern, nicht vor Verletzungen. Dem war das egal, ob wir gegen Cottbus oder gegen Bayern gespielt haben. So ein Vorbild brauchen Sie für die Stimmung in der Mannschaft, das können Sie als Trainer nicht komplett von außen steuern.
Dzeko war der bessere Fußballer, Grafite der wichtigere typ?
So kann man das sagen, ja.
Nach außen wurde das Verhältnis zwischen den beiden immer als sehr freundschaftlich dargestellt.
Aber intern war das ein heißer Konkurrenzkampf. Dzeko hatte mit Misimovic einen Landsmann an seiner Seite, Grafite mit Josué. Ich habe diese Konstellation nicht bewusst herbeigeführt, aber im Nachhinein war‘s enorm wertvoll, dass beide sozusagen „ihre“ Mittelfeldspieler als Ansprechpartner, Spielpartner und Bezugspersonen hatten. Aber es war definitiv ein Konkurrenzkampf, die wollten schon beide Torschützenkönig werden.
Dzeko sah man auch immer mal wieder schimpfen, wenn Grafite den ball nicht quergelegt hat...
Edin war jung, ehrgeizig, manchmal auch verbissen und auf jeden Fall der Unruhigere. Graffa war ein anderer Typ, den hat das ganze Drumherum weniger beschäftigt, der wollte einfach nur Tore machen.
Natürlich. Wenn Sie so einen im Kader haben, dann setzt der ja auch Maßstäbe für die anderen, zieht die anderen mit. Graffa hatte nicht nur den Willen, der hatte auch die Siegermentalität – und vor allem hatte er keine Angst, nicht vor Gegenspielern, nicht vor Verletzungen. Dem war das egal, ob wir gegen Cottbus oder gegen Bayern gespielt haben. So ein Vorbild brauchen Sie für die Stimmung in der Mannschaft, das können Sie als Trainer nicht komplett von außen steuern.
Dzeko war der bessere Fußballer, Grafite der wichtigere typ?
So kann man das sagen, ja.
Nach außen wurde das Verhältnis zwischen den beiden immer als sehr freundschaftlich dargestellt.
Aber intern war das ein heißer Konkurrenzkampf. Dzeko hatte mit Misimovic einen Landsmann an seiner Seite, Grafite mit Josué. Ich habe diese Konstellation nicht bewusst herbeigeführt, aber im Nachhinein war‘s enorm wertvoll, dass beide sozusagen „ihre“ Mittelfeldspieler als Ansprechpartner, Spielpartner und Bezugspersonen hatten. Aber es war definitiv ein Konkurrenzkampf, die wollten schon beide Torschützenkönig werden.
Dzeko sah man auch immer mal wieder schimpfen, wenn Grafite den ball nicht quergelegt hat...
Edin war jung, ehrgeizig, manchmal auch verbissen und auf jeden Fall der Unruhigere. Graffa war ein anderer Typ, den hat das ganze Drumherum weniger beschäftigt, der wollte einfach nur Tore machen.
In der Vorbereitung vor der Meister-Saison gab es in der Schweiz diesen ominösen Lauf auf den Berg rauf, bei dem Grafite ohnmächtig wurde. Die erste Gruppe um Schäfer und Gentner kam oben so unterzuckert und dehydriert an, dass sie das Ausflugslokal dort stürmte und die Spieler unter Protestschreien der Bedienung die Torte mit bloßen Händen aus der Vitrine in den Mund schaufelten...
...tja (lacht), the winner takes it all...,
...während Sie sich um den armen Grafite kümmern mussten.
Ja, ich kam ja hinterher, da konnte ich ihn einsammeln.
Sie haben tatsächlich die richtig anstrengenden Laufeinheiten soweit möglich auch selbst mitgemacht?
Na, selbstverständlich.
Selbstverständlich ist das eher nicht; aber es verschafft Ihnen eine gewisse Authentizität bei dem, was sie mit der Mannschaft tun.
Ja, deswegen habe ich es ja auch gemacht.
Waren solche Einheiten in gewissem Maße auch ein Ausleseprozess? Wer kann – körperlich und mental –, und wer kann nicht?
Absolut. Um die Stärke einer Gruppe zu erkennen, muss ich doch wissen, wer ihr schwächstes Glied ist. Heute höre ich immer, dass Stürmer weniger laufen müssen, dass der eine Mannschaftsteil darum Kondition anders trainieren muss als der andere. Das ist alles Erzählerei. Ich brauchte zu allererst doch ein gewisses Grundniveau. Und wenn ich erfolgreich sein will, muss das höher sein als bei anderen.
Sie haben vorhin angedeutet, dass Sie mit Ihrem Image als „Quälix“ hadern – dabei wird das harte Training gerade von Ihren Spielern auch immer wieder als Hauptgrund für den Erfolg genannt.
Natürlich waren wir auch deshalb erfolgreich. Dass ich aber darauf reduziert werde, ist lächerlich. Und dass Konditionsarbeit wichtig ist, ist ja nichts Neues. Ich gehe das Thema nur auf meine Art an. Andere Trainer wissen vielleicht nicht, was der menschliche Körper leisten kann, weil sie immer nur mit ihrem iPad ausrechnen, wie viele Meter in der Sekunde der Spieler schaffen kann, während ich das vorlebe und aus meiner aktiven Zeit aus jedem Leistungsbereich – von der zweittiefsten Spielklasse bis zum WM-Finale – persönliche Erfahrungen mitbringe.
Ich hätte für das Quälix-Image noch eine weitere Theorie.
Und zwar?
Sie haben immer Bilder geliefert. Vom Mount Magath in Wolfsburg, über diese gewaltigen Treppen der Marineschule an der Ostsee bis zu den Reifen, die ihre Spieler am Strand von Usedom ziehen mussten – immer wieder gab es spektakuläre Fotos von Ihren Konditionseinheiten. Das prägt sich halt sehr ein.
Ja, das kann gut sein. Aber wir haben das ja nicht wegen der Bilder gemacht. Werner Leuthard und ich waren da einfach auf einer Wellenlänge und haben gesagt: Wir nehmen das, was da ist. Bei den Bayern vorher waren wir in der Vorbereitung in Dubai, da war halt außer zwei Fußballplätzen nichts da, da haben wir die Treppenläufe im Hoteltreppenhaus gemacht. 55 Stockwerke. Davon gibt es keine Bilder, dafür ist es den Bayern-Bossen sauer aufgestoßen.
...tja (lacht), the winner takes it all...,
...während Sie sich um den armen Grafite kümmern mussten.
Ja, ich kam ja hinterher, da konnte ich ihn einsammeln.
Sie haben tatsächlich die richtig anstrengenden Laufeinheiten soweit möglich auch selbst mitgemacht?
Na, selbstverständlich.
Selbstverständlich ist das eher nicht; aber es verschafft Ihnen eine gewisse Authentizität bei dem, was sie mit der Mannschaft tun.
Ja, deswegen habe ich es ja auch gemacht.
Waren solche Einheiten in gewissem Maße auch ein Ausleseprozess? Wer kann – körperlich und mental –, und wer kann nicht?
Absolut. Um die Stärke einer Gruppe zu erkennen, muss ich doch wissen, wer ihr schwächstes Glied ist. Heute höre ich immer, dass Stürmer weniger laufen müssen, dass der eine Mannschaftsteil darum Kondition anders trainieren muss als der andere. Das ist alles Erzählerei. Ich brauchte zu allererst doch ein gewisses Grundniveau. Und wenn ich erfolgreich sein will, muss das höher sein als bei anderen.
Sie haben vorhin angedeutet, dass Sie mit Ihrem Image als „Quälix“ hadern – dabei wird das harte Training gerade von Ihren Spielern auch immer wieder als Hauptgrund für den Erfolg genannt.
Natürlich waren wir auch deshalb erfolgreich. Dass ich aber darauf reduziert werde, ist lächerlich. Und dass Konditionsarbeit wichtig ist, ist ja nichts Neues. Ich gehe das Thema nur auf meine Art an. Andere Trainer wissen vielleicht nicht, was der menschliche Körper leisten kann, weil sie immer nur mit ihrem iPad ausrechnen, wie viele Meter in der Sekunde der Spieler schaffen kann, während ich das vorlebe und aus meiner aktiven Zeit aus jedem Leistungsbereich – von der zweittiefsten Spielklasse bis zum WM-Finale – persönliche Erfahrungen mitbringe.
Ich hätte für das Quälix-Image noch eine weitere Theorie.
Und zwar?
Sie haben immer Bilder geliefert. Vom Mount Magath in Wolfsburg, über diese gewaltigen Treppen der Marineschule an der Ostsee bis zu den Reifen, die ihre Spieler am Strand von Usedom ziehen mussten – immer wieder gab es spektakuläre Fotos von Ihren Konditionseinheiten. Das prägt sich halt sehr ein.
Ja, das kann gut sein. Aber wir haben das ja nicht wegen der Bilder gemacht. Werner Leuthard und ich waren da einfach auf einer Wellenlänge und haben gesagt: Wir nehmen das, was da ist. Bei den Bayern vorher waren wir in der Vorbereitung in Dubai, da war halt außer zwei Fußballplätzen nichts da, da haben wir die Treppenläufe im Hoteltreppenhaus gemacht. 55 Stockwerke. Davon gibt es keine Bilder, dafür ist es den Bayern-Bossen sauer aufgestoßen.
„Ich habe mich in Wolfsburg nicht mehr genügend unterstützt gefühlt“
Beim Stand von 2:0 für den VfL vergab Jonathan Santana die Riesenchance zum 3:0. Er hat danach nie wieder eine Minute unter Ihnen gespielt. Zufall?
Was heißt Zufall? Jonny war ein dankbarer, einsatzfreudiger Spieler, aber nach vorn fehlte ihm was. Und ich glaube, beim ersten Gegentor macht er auch noch einen Fehler. Im Grunde muss es so gewesen sein, denn wegen einer vergebenen Chance schmeiße ich niemanden raus.
Oder hätten Sie einfach besonders gern gegen Bayern gewonnen, weil der Stachel Ihres Rausschmisses dort noch sehr tief saß?
Vergessen Sie das gleich wieder. Die Erfahrung dort war prägend, aber der Rausschmiss als solcher war für mich ein Non-Event. Als ich bei den Bayern unterschrieben hatte, wusste ich doch schon, dass es irgendwann genau so enden wird.
Und dass Sie beim 5:1 im Rückspiel kurz vor Schluss den Torwart wechseln, haben Sie dann auch nicht gemacht, weil Sie die Bayern noch ein bisschen demütigen wollten?
Das erzählen die bei den Bayern bis heute, es ist aber trotzdem Blödsinn. André Lenz war bei uns eine ganz wichtige Figur, im Training, in der Kabine, immer eine positive Ausstrahlung. Als Ersatztorwart hatte er aber nur ein relativ geringes Grundgehalt, dafür eine eher hohe Einsatzprämie. Und schon bei der Vertragsverlängerung hatte ich ihm versprochen, dass ich ihn bei passender Gelegenheit mal bringen werde. Ich konnte ja nichts dafür, dass diese Gelegenheit gerade in dem Spiel kam – und es konnte ja keiner wissen, ob wir in der Saison noch einmal so hoch führen werden. Ich war einfach als Trainer in der Pflicht, für das geradezustehen, was ich als Manager ausgehandelt und versprochen habe. Dass die Bayern das schon damals nicht einsehen wollten, dafür kann ich auch nichts.
Dieses 5:1 fiel in eine Phase, in der der VfL zehnmal in Folge gewann. Bekommt man als Trainer da irgendwann das Gefühl: Hier klappt gerade alles, ich kann es laufen lassen.
Ich lasse nie was laufen, man muss als Trainer ständig aufpassen, ständig wachsam sein – auch wenn da bei dieser Wolfsburger Mannschaft wenig Bedarf war. Josué etwa hatte die richtige Mischung aus Ehrgeiz und Erfahrung, Barzagli war Weltmeister und wusste, wie Erfolg geht, die jungen Spieler waren hungrig – das passte.
Ab wann haben Sie denn dann persönlich an den Titel geglaubt?
Eigentlich nie.
Bitte?
So toll die Mannschaft auch war, es war eigentlich keine, mit der man Meister wird. So richtig geglaubt habe ich es erst, als wir im letzten Spiel gegen Bremen das vierte Tor gemacht hatten.
So spät?
Es war ja nicht auszuschließen, dass wir das Spiel gegen Bremen verlieren und Zweiter werden.
Was heißt Zufall? Jonny war ein dankbarer, einsatzfreudiger Spieler, aber nach vorn fehlte ihm was. Und ich glaube, beim ersten Gegentor macht er auch noch einen Fehler. Im Grunde muss es so gewesen sein, denn wegen einer vergebenen Chance schmeiße ich niemanden raus.
Oder hätten Sie einfach besonders gern gegen Bayern gewonnen, weil der Stachel Ihres Rausschmisses dort noch sehr tief saß?
Vergessen Sie das gleich wieder. Die Erfahrung dort war prägend, aber der Rausschmiss als solcher war für mich ein Non-Event. Als ich bei den Bayern unterschrieben hatte, wusste ich doch schon, dass es irgendwann genau so enden wird.
Und dass Sie beim 5:1 im Rückspiel kurz vor Schluss den Torwart wechseln, haben Sie dann auch nicht gemacht, weil Sie die Bayern noch ein bisschen demütigen wollten?
Das erzählen die bei den Bayern bis heute, es ist aber trotzdem Blödsinn. André Lenz war bei uns eine ganz wichtige Figur, im Training, in der Kabine, immer eine positive Ausstrahlung. Als Ersatztorwart hatte er aber nur ein relativ geringes Grundgehalt, dafür eine eher hohe Einsatzprämie. Und schon bei der Vertragsverlängerung hatte ich ihm versprochen, dass ich ihn bei passender Gelegenheit mal bringen werde. Ich konnte ja nichts dafür, dass diese Gelegenheit gerade in dem Spiel kam – und es konnte ja keiner wissen, ob wir in der Saison noch einmal so hoch führen werden. Ich war einfach als Trainer in der Pflicht, für das geradezustehen, was ich als Manager ausgehandelt und versprochen habe. Dass die Bayern das schon damals nicht einsehen wollten, dafür kann ich auch nichts.
Dieses 5:1 fiel in eine Phase, in der der VfL zehnmal in Folge gewann. Bekommt man als Trainer da irgendwann das Gefühl: Hier klappt gerade alles, ich kann es laufen lassen.
Ich lasse nie was laufen, man muss als Trainer ständig aufpassen, ständig wachsam sein – auch wenn da bei dieser Wolfsburger Mannschaft wenig Bedarf war. Josué etwa hatte die richtige Mischung aus Ehrgeiz und Erfahrung, Barzagli war Weltmeister und wusste, wie Erfolg geht, die jungen Spieler waren hungrig – das passte.
Ab wann haben Sie denn dann persönlich an den Titel geglaubt?
Eigentlich nie.
Bitte?
So toll die Mannschaft auch war, es war eigentlich keine, mit der man Meister wird. So richtig geglaubt habe ich es erst, als wir im letzten Spiel gegen Bremen das vierte Tor gemacht hatten.
So spät?
Es war ja nicht auszuschließen, dass wir das Spiel gegen Bremen verlieren und Zweiter werden.
War der Wechsel zu Schalke 04 im Nachhinein für Sie ein Fehler, auch wenn Sie im ersten Jahr dort Vizemeister geworden sind?
Nein, zu dem Zeitpunkt nicht.
Weil sie mit Bayern und Wolfsburg Meister geworden waren und der Reiz, das auch mit den seit 50 Jahren darbenden Schalkern zu schaffen, einfach zu groß war?
Ja. Das ist für mich der zweitgrößte Verein Deutschlands. Ich wusste halt damals nur nicht, wie pleite die waren. Das erste Jahr hatten wir Erfolg, trotzdem stand ich danach unter Dauerbeschuss, wurde nur noch angefeindet. Und dann ging es öffentlich los. Ich habe in einem Interview gesagt, dass ich 30 Millionen für neue Spieler brauchte, der Aufsichtsratsvorsitzende...
...Clemens Tönnies...
...sagt direkt in einem anderen Interview, dass Magath nur das Geld ausgeben kann, das er auch einnimmt. Da können Sie sich vorstellen, wie anstrengend das war. Nach meinem Rauswurf wurde die Mannschaft dann noch Pokalsieger und kam ins Halbfinale der Champions League. So schlecht kann das alles also nicht gewesen sei. Aber ich war danach unheimlich geschlaucht, weil ich auf Schalke nur angepinkelt wurde.
Trotzdem kehrten Sie nur wenige Tage nach dem Aus auf Schalke zum VfL Wolfsburg zurück.
Martin Winterkorn hatte zwei Jahre zuvor vergeblich versucht, mich zu halten. Ich lasse auf ihn nichts kommen, was den VfL angeht. Er war einer von ganz wenigen großen Entscheidern in der Branche, die wirklich ein Gefühl für Fußball haben. Als er dann anrief und mich bat zu helfen, fühlte ich mich irgendwie verpflichtet, vielleicht hatte ich auch ein schlechtes Gewissen, weil ich 2009 gegangen war. Er hat mir noch freigestellt, ob ich sofort loslegen will oder später, das durfte ich mir aussuchen. Aber ich bin halt so gestrickt: Wenn da eine schwierige Situation ist, dann warte ich nicht. Auch wenn ich mich damals sehr müde gefühlt hatte.
Keine Angst, den Ruf des Meistertrainers in Wolfsburg aufs Spiel zu setzen?
Wissen Sie, ich komme noch aus einer Zeit, wo solche Fragen einfach keine Rolle gespielt haben. Was ist mit meinem Ruf? Wie verkaufe ich mich? Das spielt mir heute alles eine zu große Rolle. Ich wollte nur meine Arbeit machen.
Die war in der zweiten Amtszeit ja offenbar schwer genug.
Ich kann mich noch sehr, sehr genau an das erste Spiel erinnern. In Stuttgart, wir führen 1:0, müssen das 2:0 oder 3:0 machen, dann schießt der Niedermeier – ein Verteidiger! – in der vierten Minute der Nachspielzeit den Ausgleich. In dem Moment hat sich‘s bei mir im Magen zusammengezogen und ich habe geradezu körperlich gespürt: Das wird bis zur letzten Sekunde dieser Saison ganz, ganz eng.
Nein, zu dem Zeitpunkt nicht.
Weil sie mit Bayern und Wolfsburg Meister geworden waren und der Reiz, das auch mit den seit 50 Jahren darbenden Schalkern zu schaffen, einfach zu groß war?
Ja. Das ist für mich der zweitgrößte Verein Deutschlands. Ich wusste halt damals nur nicht, wie pleite die waren. Das erste Jahr hatten wir Erfolg, trotzdem stand ich danach unter Dauerbeschuss, wurde nur noch angefeindet. Und dann ging es öffentlich los. Ich habe in einem Interview gesagt, dass ich 30 Millionen für neue Spieler brauchte, der Aufsichtsratsvorsitzende...
...Clemens Tönnies...
...sagt direkt in einem anderen Interview, dass Magath nur das Geld ausgeben kann, das er auch einnimmt. Da können Sie sich vorstellen, wie anstrengend das war. Nach meinem Rauswurf wurde die Mannschaft dann noch Pokalsieger und kam ins Halbfinale der Champions League. So schlecht kann das alles also nicht gewesen sei. Aber ich war danach unheimlich geschlaucht, weil ich auf Schalke nur angepinkelt wurde.
Trotzdem kehrten Sie nur wenige Tage nach dem Aus auf Schalke zum VfL Wolfsburg zurück.
Martin Winterkorn hatte zwei Jahre zuvor vergeblich versucht, mich zu halten. Ich lasse auf ihn nichts kommen, was den VfL angeht. Er war einer von ganz wenigen großen Entscheidern in der Branche, die wirklich ein Gefühl für Fußball haben. Als er dann anrief und mich bat zu helfen, fühlte ich mich irgendwie verpflichtet, vielleicht hatte ich auch ein schlechtes Gewissen, weil ich 2009 gegangen war. Er hat mir noch freigestellt, ob ich sofort loslegen will oder später, das durfte ich mir aussuchen. Aber ich bin halt so gestrickt: Wenn da eine schwierige Situation ist, dann warte ich nicht. Auch wenn ich mich damals sehr müde gefühlt hatte.
Keine Angst, den Ruf des Meistertrainers in Wolfsburg aufs Spiel zu setzen?
Wissen Sie, ich komme noch aus einer Zeit, wo solche Fragen einfach keine Rolle gespielt haben. Was ist mit meinem Ruf? Wie verkaufe ich mich? Das spielt mir heute alles eine zu große Rolle. Ich wollte nur meine Arbeit machen.
Die war in der zweiten Amtszeit ja offenbar schwer genug.
Ich kann mich noch sehr, sehr genau an das erste Spiel erinnern. In Stuttgart, wir führen 1:0, müssen das 2:0 oder 3:0 machen, dann schießt der Niedermeier – ein Verteidiger! – in der vierten Minute der Nachspielzeit den Ausgleich. In dem Moment hat sich‘s bei mir im Magen zusammengezogen und ich habe geradezu körperlich gespürt: Das wird bis zur letzten Sekunde dieser Saison ganz, ganz eng.
Am Ende gab es den Klassenerhalt in Hoffenheim, einen achten Platz in der Folgesaison – und immer mehr Kritik an ihren Transfers...
Da waren Spieler dabei, die haben quasi gar nichts gekostet – ein Aliaksandr Hleb etwa wurde ja immer noch von Barcelona bezahlt. Meine Überlegung war: Wenn der t wird, dann haben wir einen Spieler, den wir ansonsten niemals kriegen könnten. Ähnlich war es bei anderen Spielern, aber ich habe vielleicht unterschätzt, dass das anders wahrgenommen wird. Dann habe ich Spieler wie Chris oder Sotirios Kyrgiakos holen müssen, weil der Verein ja Barzagli abgegeben hatte und auf dem Markt nicht viel Auswahl an Abwehrspielern war. Und dann gab es Sonderfälle wie Thomas Hitzlsperger, den damals schon die Frage, ob er sich outen solle, zu sehr abgelenkt hat. So etwas ahnt man ja vorher nicht. Er hätte es damals tun sollen, dann wäre er im Kopf freier gewesen.
Hatte sich der VfL verändert?
Das weiß ich nicht, aber vielleicht habe ich eine Sache falsch eingeschätzt: Ich dachte, die Fürsprache von Martin Winterkorn schützt mich in gewissem Maße vor internen Auseinandersetzungen. Dabei habe ich wohl verkannt, dass er auch anderes zu tun hat und nicht immer alles mitbekommt, was beim VfL passiert. So fehlte mir die Unterstützung, das hätte ich am Beispiel Diego früh merken können...
Inwiefern?
Schon nach dem ersten Spiel in Stuttgart saß ich beim Aufsichtsratsvorsitzenden Garcia Sanz und habe ihm gesagt: Mit Diego, das wird nichts, den kann ich nicht gebrauchen. Und Garcia Sanz sagte: Versuchen Sie‘s bitte, tun sie mir den Gefallen. Und das habe ich dann gemacht, obwohl ich ihn lieber rausgeschmissen hätte. Hätte ich das getan, hätten wir uns vor dem letzten Spieltag gerettet.
An diesem letzten Spieltag verließ Diego einfach so die Mannschaftssitzung, nachdem Sie ihn gegen Hoffenheim auf die Bank setzen wollten.
Das muss man sich mal vorstellen! Der geht einfach – und wird dann intern noch geschützt. Und er wechselte dann ja, aber als Atletico ihn nach der Leihe nicht mehr wollte, kam er ein Jahr später zurück. Und ich musste wieder mit ihm arbeiten! Weil er ja viel Geld gekostet hatte. Das war das Dilemma...
Am Ende der Saison waren Sie nicht mehr da, der VfL wurde unter Dieter Hecking Achter und Dortmund wurde Meister. Wieso sind eigentlich seit der VfL-Meisterschaft nur noch Bayern und Dortmund Meister geworden?
Weil der VfL mich nicht noch einmal zurückgeholt hat (lacht). Nein, im Ernst: Es hat einfach keiner mehr den Anspruch, Meister zu werden. Das gilt nicht nur für den VfL Wolfsburg, das gilt für alle. Als ich in England und China gearbeitet habe und die Bundesliga mit etwas Abstand verfolgen konnte, hatte ich immer stärker das Gefühl: Alle sind zufrieden, wenn sie in der Liga mitspielen dürfen. Oder sagen sich sogar, wie jetzt Hannover: Dann steigen wir eben ab und dann wieder auf. Mir fehlen Vereine, die was erreichen wollen. Die Liga richtet sich im Mittelmaß ein. Wenn einer einen Pass über zehn Meter spielt, wird er schon abgefeiert.
Das ist dann aber eher die Schuld meiner Branche.
Mag sein, aber das Problem selbst ist ja grundsätzlicher: Es fehlt an zu vielen Stellen der Mut, etwas erreichen zu wollen, das weit weg scheint.