VfL Wolfsburg: Und dann wollten beide die Scheidung

         
Fußball-Wolfsburg feiert seine Aufstiege: Links 1992 den Sprung in die 2. Liga (mit Mütze Uwe Otto), rechts den Bundesliga-Aufstieg 1997 mit Roy Präger. Fotos: Imago Images Rust/06548459 Boris Baschin
Fußball-Wolfsburg feiert seine Aufstiege: Links 1992 den Sprung in die 2. Liga (mit Mütze Uwe Otto), rechts den Bundesliga-Aufstieg 1997 mit Roy Präger. Fotos: Imago Images Rust/06548459 Boris Baschin
2001 trennten sich der Verein VfL Wolfsburg und seine Profi-Fußballer voneinander, die VfL-GmbH wurde gegründet. Eine Scheidung, die nicht immer einvernehmlich verlief – und die im Vorfeld kurz zu einem Rosenkrieg wurde.  

Wie verhält sich der Fußball zum Rest des Vereins? Dieses Thema ist – im wahrsten Wortsinn – so alt wie der VfL Wolfsburg selbst. Denn kaum war der Verein vor 75 Jahren gegründet, wollten die Fußballer weg. Das kam daher, so erinnerte sich Gründungsmitglied Herbert Chall 1975 in einem Interview mit der Mitgliederzeitschrift „Dabei“, „dass der VfL zu diesem Zeitpunkt über zu viele gute Fußballspieler verfügte, aber nur eine Mannschaft den noch sehr kleinen Spielbetrieb aufnehmen konnte.“ Also gründete der Rest den 1. FC Wolfsburg.

Man hätte damals schon sagen können: Wenn der Fußball zu groß wird, strebt er in die Selbstständigkeit. Etwas mehr als 55 Jahre später wurde die VfL-GmbH gegründet. Aus ganz ähnlichen Gründen. Und als Ergebnis einer Entwicklung, die am 8. März 1991 begann. An diesem Tag wählten die Mitglieder der VfL-Fußball-Abteilung eine neue Führung, Günther Brockmeyer wurde nach Jahrzehnten an der Spitze verabschiedet, Manfred Aschenbrenner wurde Chef, Peter Pander Liga-Obmann. Als die Wahl gelaufen war, gab Präsident und VW-Arbeitsdirektor Karl-Heinz Briam das Ziel aus: „Wir wollen in den Profi-Fußball!“ 15 Monate später war der VfL dort angekommen.

Aschenbrenner und Pander hatten mit Uwe Erkenbrecher einen ehrgeizigen 36-jährigen Trainer aus Köln geholt, hatten den Bundesliga-erfahrenen Siggi Reich zur Rückkehr nach Wolfsburg überredet und die Mannschaft punktuell schlau verstärkt. Durch einen 2:1-Erfolg am letzten Spieltag der Aufstiegsrunde am 13. Juni 1992 gegen den FC Berlin schaffte der VfL den Sprung in die 2. Liga. 
Fußball-Wolfsburg jubelte. Und der eigene Verein? Jeden Dienstag, wenn Liga-Obmann Pander mit den Kostenbelegen in die Geschäftsstelle kam, wurde er kritisch beäugt. Die 1400 Zuschauer, die der VfL im Aufstiegsjahr im Schnitt zur Deckung des Etats hätte haben müssen, hat er nicht erreicht. Für den Verein, der mit VW-Hilfe Weltklasse-Judoka, -Gewichtheber und -Leichtathleten hervorgebracht hatte, war der Profifußball zwar auch ein Prestigeobjekt, vor allem aber war er ein Kostenrisiko. „Das rechnet sich nicht“ war ein beliebtes Argument.

Und Gegenargumente waren nicht leicht zu finden, denn auch in der 2. Liga blieb der Fan-Zuspruch dürftig. Das Jahr 1995 brachte mit dem vierten Platz und dem Einzug ins DFB-Pokalfinale zwar den größten Erfolg der Wolfsburger Fußball-Geschichte, aber anschließend musste Kapitän Claus-Dieter Wollitz für 1,4 Millionen Mark an den 1. FC Kaiserslautern verkauft werden, um das wirtschaftliche Überleben zu sichern. VW interessierte sich dafür eher am Rande, wickelte seine Werbeaktivitäten mit den Zweitliga-Kickern über eine Hamburger Agentur ab. Und während die anderen Abteilungen Angst hatten, dass der Berufsfußball den ganzen VfL in die Pleite trieb, fühlten sich die Fußballer in einem Großverein mit fast 30 Abteilungen und komplizierten Entscheidungswegen zunehmend eingeengt. Spätestens als 1997 der Aufstieg in die Bundesliga gelang, wollten beide Seiten die Scheidung. „Wenn in der Zeitung stand, wie viel Fernsehgeld die Bundesliga-Vereine bekommen, haben unsere Judo-Leute ausgerechnet, wie viele Matten man dafür kaufen kann“, sagte Pander damals. Und es war nur halb als Scherz gemeint.

Zudem hatten neue DFB-Regularien dafür gesorgt, dass das Wahlverfahren für das VfL-Präsidium geändert werden musste, nur ein Wahlausschuss (und nicht wie bisher die Mitglieder) durften Kandidaten vorschlagen. Der Dachverband einer Sportart schreibt allen Sportarten des VfL vor, wie sie ihre Führungsriege zu wählen haben? Das war vor allem einem Mann ein Dorn im Auge: Georg Kugland. Der knorrige Weltkriegsveteran, 2019 verstorben, war Ex-Chef des Stadtsportbundes, ehemaliger VW-Verhandlungsführer bei Tarifrunden, Berater des VfL-Präsidiums – und kein Typ, der einem Streit aus dem Wege ging. Er hatte sich früh für eine Trennung von Profi-Fußball und Verein eingesetzt, die ersten Ideen – etwa dem Vorbild des KFC Uerdingen zu folgen, bei dem die Fußballer eine wirtschaftliche Eigenständigkeit hatten – führten aber zu nichts.

Dann erlaubte der DFB 1998 die Teilnahme von Kapitalgesellschaften am Bundesliga- Spielbetrieb und schuf dabei eine Ausnahmeregelung für Bayer Leverkusen – die Bayer AG durfte wegen ihrer langjährigen Unterstützung Mehrheitseigner der Fußballer werden. Ansonsten waren nur Minderheitsbeteiligungen von Unternehmen erlaubt, der Verein musste immer die Mehrheit haben – die sogenannte 50+1-Regel.

Die Führung der Wolfsburger Fußballer um den Unternehmer Wolfgang Heitmann und den VW-Betriebsratsvize Bernd Sudholt sah nun ihre Chance – denn muss nicht für VW und Wolfsburg dasselbe gelten wie für Bayer und Leverkusen? An dieser Frage hing alles, denn der VW-Konzern war nur bereit, die Profi-Fußballer in seine Arme zu schließen, wenn er die Mehrheit bekam.

Es begann ein doppelter Kampf der Fußballer. Zum einen gegen den DFB, der erst nach monatelangem Ringen einwilligte, dem VfL die Nutzung der „Lex Leverkusen“ zuzugestehen. Zum anderen gegen den eigenen Verein – es ging um Prozedere und Details der Ausgliederung. Am 23. Juni 2000, neun Tage nachdem der DFB dann doch sein „Go“ für die VW-Mehrheit einer VfL-GmbH gegeben hatte, kam es auf der Delegiertenversammlung zum Eklat. Sudholt und der ehemalige Leistungsschwimmer Bernd Rumpel zogen ihre Kandidatur für die Präsidiumswahl zurück, weil sie mit der Kandidaten-Zusammensetzung des neuen Führungsgremiums um Präsident Wilhelm Ahrens nicht einverstanden waren. Tiefe Gräben zwischen Fußball und Gesamtverein traten deutlich wie nie hervor. Sudholt nannte das neue Präsidium „eine Rentner-Band“.

Als vier Monate später diese „Rentner-Band“ mit den Fußballern darüber stritt, welche Vermögenswerte in die GmbH wandern und welche beim Verein verbleiben – es ging um rund 2,5 Millionen Mark –, drohte Volkswagen intern sogar mit Rückzug von den GmbH-Plänen. „Wenn das passiert, geht alles den Bach runter, was wir aufgebaut haben“, sagte Heitmann damals. Und Sudholt legte nach: „Mit Präsident Wilhelm Ahrens wurde von VW-Seite schon im Sommer ein Kompromiss erzielt. Aber das war Herrn Kugland wohl zu bescheiden. Er ist derjenige, der die Sache auf die Spitze treiben will!“ Kugland konterte kühl: „Die Vorwürfe sind gegenstandslos. Außerdem war ich immer für die GmbH.“

Kugland hatte aber als einer der Ersten auch erkannt, dass der VfL schwierigen Zeiten entgegensieht, wenn sich die VW-Förderung des Sports zunehmend auf den Profi-Fußball im Tochterbetrieb konzentriert – und er drängte darauf, dass VW nach der Ausgliederung nicht nur den im e.V. verbleibenden Amateurfußball unterstützt (was der DFB verlangte), sondern auch die anderen Abteilungen.

Und so wurde nachverhandelt, bis im November 2000 schließlich der Rosenkrieg beendet war. Die VfL-Delegiertenversammlung stimmte der GmbH zu, die im Januar 2001 gegründet wurde und in die Wolfsburgs Profis am 23. Mai 2001 überführt wurden. Seitdem gibt es den VfL zweimal. Als „Gesamtverein“ – und als Profiußball-Klub, der ohne Scheidung und ohne VW wohl kaum 23 Jahre lang in der Bundesliga überlebt hätte. Text: Andreas Pahlmann
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