Meine Familie und ich: Wir sind die VfL-Tradition
Vier Generationen VfL Wolfsburg: Erst kam die Gründerin, dann die Leichtathletin und der Handball-Nationaltorwart, dann noch einmal zwei Top-Leichtathleten. Der bisher letzte Spitzensportler in dieser ganz besonderen Reihe, Sprinter Sven Knipphals, schreibt zum 75-jährigen Bestehen des Vereins Erinnerungen an die Familie und den Sport auf. Und er findet Berührungspunkte in Helsinki, Leipzig und Moskau...
Ich war 16 oder 17, da habe ich das als Nebensatz irgendwo in einem Zeitungsartikel gelesen: Irma Dziomba, meine Urgroßmutter, gehörte zu den Gründern des VfL Wolfsburg. Ganz ehrlich: Vorher war mir das gar nicht so bewusst. Vorher war mir nur klar gewesen, dass sie VfLerin und im Verein sehr aktiv war – und dass sie sich offenbar gut mit meinem Opa, ihrem Schwiegersohn, verstanden hat. Bis zu seinem Tod vor drei Jahren jedenfalls hat Opa Jürgen oft von ihr geschwärmt – und gern erzählt, was für eine tolle Frau das war.
Meine Urgroßmutter ist 13 Jahre vor meiner Geburt tödlich verunglückt. Was ich über sie weiß, habe ich gelesen oder mir erzählen lassen. Dass sie die einzige Frau bei der Gründung war. Und dass ihre Tochter Christel, meine Oma, nicht wie sie Turnerin wurde, sondern Leichtathletin. Der Sport und der VfL waren immer großen Themen in der Familie, bei Geburtstagen oder an Feiertagen. War ja auch immer wer dabei, der etwas zu erzählen hatte. Entweder von früher – oder später dann auch von heute, als ich angefangen habe, international zu starten.
Ich war 16 oder 17, da habe ich das als Nebensatz irgendwo in einem Zeitungsartikel gelesen: Irma Dziomba, meine Urgroßmutter, gehörte zu den Gründern des VfL Wolfsburg. Ganz ehrlich: Vorher war mir das gar nicht so bewusst. Vorher war mir nur klar gewesen, dass sie VfLerin und im Verein sehr aktiv war – und dass sie sich offenbar gut mit meinem Opa, ihrem Schwiegersohn, verstanden hat. Bis zu seinem Tod vor drei Jahren jedenfalls hat Opa Jürgen oft von ihr geschwärmt – und gern erzählt, was für eine tolle Frau das war.
Meine Urgroßmutter ist 13 Jahre vor meiner Geburt tödlich verunglückt. Was ich über sie weiß, habe ich gelesen oder mir erzählen lassen. Dass sie die einzige Frau bei der Gründung war. Und dass ihre Tochter Christel, meine Oma, nicht wie sie Turnerin wurde, sondern Leichtathletin. Der Sport und der VfL waren immer großen Themen in der Familie, bei Geburtstagen oder an Feiertagen. War ja auch immer wer dabei, der etwas zu erzählen hatte. Entweder von früher – oder später dann auch von heute, als ich angefangen habe, international zu starten.
Zu den schönsten alten Geschichten gehört eine, die an der Ostsee spielt. Mein Vater muss ungefähr neun gewesen sein, als er mit seinen Eltern im Urlaub in Grömitz war. Dort fand ein Leichtathletik-Wettkampf statt, für den ihn meine Oma dann angemeldet hat. Sie hatte – warum auch immer – ihre Spikes dabei. Und in diesen Spikes gewann mein Papa dann den Weitsprung. Der eingerahmte Zeitungsartikel dazu steht bis heute bei ihm daheim im Schrank. Es war sozusagen sein Start als Weitspringer.
Von vielen anderen Erinnerungsstücken hat sich mein Vater getrennt, als wir 2005 vom Köhlerberg nach Barnstorf zogen. Davor, das weiß ich noch, hatten wir im Keller eine Riesenkiste mit Urkunden, kleinen Pokalen und Medaillen. Mit denen habe ich als Kind manchmal gespielt, ohne zu wissen, was genau ich da eigentlich in der Hand hatte. Als ich sieben Jahre alt war, hat mich mein Vater dann beim VfL angemeldet – ich habe bei Karl Götze trainiert und natürlich wollte ich vor allem Weitsprung machen. Später war dann Fußball interessanter, ich spielte beim TSV Hehlingen in der Jugend, für Papa war das immer okay. Aber als ich dann auch mit dem Fußball aufhörte, eine Weile gar keinen Sport mehr machte und mit meiner Unausgeglichenheit meinen Mitmenschen immer mehr auf die Nerven ging, hat er den Kontakt zu Werner Morawietz hergestellt. Und Werner blieb dann bis zu meinem Karriere-Ende mein Leichtathletik-Trainer beim VfL.
Als ich meinen ersten Landesmeistertitel holte, war mein Vater stolzer als ich selbst. Der Skeptiker in der Familie war immer mein Opa, der Handballtorwart. „Du hast zu spät angefangen, das wird nichts“, sagte er gern. Als es dann doch was wurde, war er leider schon zu krank, um das wirklich mitzubekommen. Über seine Sportart Feldhandball weiß man heute wenig. In seinem Garten oben in der Schulenburg-Allee haben wir als Kinder manchmal alte Super-8-Filme geguckt, da waren auch ein paar Szenen mit ihm als Handballtorwart dabei – aber die haben meine drei Jahre ältere Schwester Svenja immer mehr interessiert als mich, ich war da eher der Banause. Und mit dem alten Feldhandball aus Leder, den mir mein Opa mal überlassen hat, habe ich lieber Fußball gespielt.
Wenn meine Großeltern von ihren Sporterlebnissen erzählt haben, tauchten zwei Sachen immer wieder auf: Oma Christel war 1952 bei einer Jugendfahrt zu den Olympischen Spielen in Helsinki dabei, das muss für sie ein tolles Erlebnis gewesen sein. Und Opa Jürgen, der nach eigener Aussage den Tempogegenstoß erfunden hat, stand 1959 bei einem Feldhandball-Länderspiel gegen die DDR im Tor – in Leipzig, vor 93.000 Zuschauern im riesigen Zentralstadion. Beide Orte hatten dann später auch viel mit meiner Karriere zu tun: In Helsinki hatte ich 2012 bei der EM meinen ersten großen Einzelstart über 200 Meter. Und in Leipzig, wo ich heute lebe, habe ich direkt neben dem Zentralstadion jahrelang trainiert.
Von vielen anderen Erinnerungsstücken hat sich mein Vater getrennt, als wir 2005 vom Köhlerberg nach Barnstorf zogen. Davor, das weiß ich noch, hatten wir im Keller eine Riesenkiste mit Urkunden, kleinen Pokalen und Medaillen. Mit denen habe ich als Kind manchmal gespielt, ohne zu wissen, was genau ich da eigentlich in der Hand hatte. Als ich sieben Jahre alt war, hat mich mein Vater dann beim VfL angemeldet – ich habe bei Karl Götze trainiert und natürlich wollte ich vor allem Weitsprung machen. Später war dann Fußball interessanter, ich spielte beim TSV Hehlingen in der Jugend, für Papa war das immer okay. Aber als ich dann auch mit dem Fußball aufhörte, eine Weile gar keinen Sport mehr machte und mit meiner Unausgeglichenheit meinen Mitmenschen immer mehr auf die Nerven ging, hat er den Kontakt zu Werner Morawietz hergestellt. Und Werner blieb dann bis zu meinem Karriere-Ende mein Leichtathletik-Trainer beim VfL.
Als ich meinen ersten Landesmeistertitel holte, war mein Vater stolzer als ich selbst. Der Skeptiker in der Familie war immer mein Opa, der Handballtorwart. „Du hast zu spät angefangen, das wird nichts“, sagte er gern. Als es dann doch was wurde, war er leider schon zu krank, um das wirklich mitzubekommen. Über seine Sportart Feldhandball weiß man heute wenig. In seinem Garten oben in der Schulenburg-Allee haben wir als Kinder manchmal alte Super-8-Filme geguckt, da waren auch ein paar Szenen mit ihm als Handballtorwart dabei – aber die haben meine drei Jahre ältere Schwester Svenja immer mehr interessiert als mich, ich war da eher der Banause. Und mit dem alten Feldhandball aus Leder, den mir mein Opa mal überlassen hat, habe ich lieber Fußball gespielt.
Wenn meine Großeltern von ihren Sporterlebnissen erzählt haben, tauchten zwei Sachen immer wieder auf: Oma Christel war 1952 bei einer Jugendfahrt zu den Olympischen Spielen in Helsinki dabei, das muss für sie ein tolles Erlebnis gewesen sein. Und Opa Jürgen, der nach eigener Aussage den Tempogegenstoß erfunden hat, stand 1959 bei einem Feldhandball-Länderspiel gegen die DDR im Tor – in Leipzig, vor 93.000 Zuschauern im riesigen Zentralstadion. Beide Orte hatten dann später auch viel mit meiner Karriere zu tun: In Helsinki hatte ich 2012 bei der EM meinen ersten großen Einzelstart über 200 Meter. Und in Leipzig, wo ich heute lebe, habe ich direkt neben dem Zentralstadion jahrelang trainiert.
Eine ähnliche Verbindung gibt es auch zu meinem Vater, der 1980 wegen des Olympiaboykotts – die sowjetische Armee war 1979 in Afghanistan einmarschiert – in Moskau nicht starten durfte. Dass ich 2012 zum deutschen Olympiakader gehörte war für ihn ebenso eine Art Genugtuung wie mein vierter Platz mit der deutschen Sprintstaffel 2013 bei der WM in Moskau – genau in dem Stadion, in dem er 33 Jahre zuvor eigentlich um olympische Medaillen hätte springen sollen. Zu den wenigen Erinnerungsstücken, die er noch hat, gehört die „Trost-Urkunde“, die es 1980 für die deutschen Athleten gab. „Robustere Kräfte verhinderten eine Teilnahme“, steht da – eigentlich ein Hohn, wenn man bedenkt, dass die Amerikaner heute genau die Taliban bekämpfen, die sie damals im Krieg zwischen der Sowjetunion und Afghanistan unterstützt haben.
Meine Uroma, meine Großeltern, mein Vater und schließlich ich – ich finde es cool, dass die VfL-Geschichte auch ein Teil unserer Familiengeschichte ist und dass wir erleben konnten und weiter erleben, wie Sport sich entwickelt. „Das ist die schönste Nebensache der Welt“, hat Opa Jürgen oft gesagt – und wollte sich nie damit abfinden, dass bei Olympia auch Profis starten dürfen. Heute funktioniert Leistungssport nur unter professionellen Bedingungen.
Ob meine Tochter die Familientradition weiterführt, weiß ich nicht. Meine Frau Mandy hat eine professionelle Tanzausbildung, und wenn ich mir Clarissa mit ihren gut eineinhalb Jahre so angucke, wird sie vielleicht mehr nach ihrer Mutter kommen. Aber wenn ich als Exil-Wolfsburger heute in Leipzig auf den VfL, den Fußball und die angeblich fehlende Tradition angesprochen werde, dann kann ich immer sagen: „Meine Familie und ich – wir sind quasi die VfL-Tradition.“ Und darauf bin ich schon auch stolz. Text: Sven Knipphals
Meine Uroma, meine Großeltern, mein Vater und schließlich ich – ich finde es cool, dass die VfL-Geschichte auch ein Teil unserer Familiengeschichte ist und dass wir erleben konnten und weiter erleben, wie Sport sich entwickelt. „Das ist die schönste Nebensache der Welt“, hat Opa Jürgen oft gesagt – und wollte sich nie damit abfinden, dass bei Olympia auch Profis starten dürfen. Heute funktioniert Leistungssport nur unter professionellen Bedingungen.
Ob meine Tochter die Familientradition weiterführt, weiß ich nicht. Meine Frau Mandy hat eine professionelle Tanzausbildung, und wenn ich mir Clarissa mit ihren gut eineinhalb Jahre so angucke, wird sie vielleicht mehr nach ihrer Mutter kommen. Aber wenn ich als Exil-Wolfsburger heute in Leipzig auf den VfL, den Fußball und die angeblich fehlende Tradition angesprochen werde, dann kann ich immer sagen: „Meine Familie und ich – wir sind quasi die VfL-Tradition.“ Und darauf bin ich schon auch stolz. Text: Sven Knipphals
Die VfL-Familie Dziomba/Knipphals
Die aus der Niederlausitz stammende Lehrerin Irma Dziomba hatte ihre Ausbildung an der Sporthochschule Berlin erhalten und gehörte 1945 zu den zwölf Gründungsmitgliedern des VfL. Ihre Tochter Christel Dziomba war als Leichathletin mehrfache Landes- und norddeutsche Jugendmeisterin und heiratete den aus Kiel stammenden VfL-Handballtorwart Hans-Jürgen Knipphals, der mit Wolfsburg 1963 deutscher Meister wurde. Ihr Sohn Jens Knipphals war in den 80ern ein Weltklasse-Weitspringer und verpasste Olympia 1980 wegen des Boykotts. Dessen Sohn Sven Knipphals wurde zu einem der besten deutschen Sprinter und war bis zu seinem Rücktritt vor zwei Jahren Mitglied der deutschen 4x100-Meter-Staffel.