Nach 110 Tagen hatte die Stadt einen Sportverein
Im April 1945 war für die Stadt des KdF-Wagens der Krieg vorbei, im Mai wurde diese Stadt in Wolfsburg umbenannt, im Juni enstand die Idee für einen Sportverein, der dann im September gegründet wurde. Die Geschichte dieser Gründung war eine Geschichte mit Hindernissen – und der VfL hieß zunächst einmal ganz anders.
Als amerikanische Soldaten mit ihrem Panzerverband am 11. April 1945 Fallersleben erreichten, interessierten sie sich zunächst kaum für das Fahrzeugwerk und die neue Siedlung hinter der Hoffmannstadt. Auf ihren alten Karten waren weder Volkswagenwerk noch die „Stadt des KdF-Wagens“ eingezeichnet – und außerdem zog es sie weiter nach Osten. Denn sie hatten den Auftrag, auf jeden Fall vor der Sowjetarmee zur Elbe zu gelangen. Im Werk selbst, wo noch Stunden zuvor die letzten Kübelwagen montiert wurden, drohte großes Chaos. Die Werkleitung war nicht mehr da, SS und der Werkschutz waren geflohen oder abgetaucht, die ausgebeuteten Zwangsarbeiter rebellierten. Französische Kriegsgefangene und zum Arbeitsdienst gezwungene niederländische Studenten formierten eine Art Ordnungsdienst, um die Gewalt einzudämmen, Kraftwerksleiter Fritz Kuntze, der katholische Prälat Antonius Holling und zwei Ingenieure überzeugten die US-Solaten schließlich, das Fabrikgelände zu besetzen.
Jean Baudet erlebt diese Tage in einem ausgelagerten VW-Betriebsteil in Neindorf. Der Zwangsarbeiter aus Frankreich erinnerte sich später an den Moment, in dem klar wurde, dass die Kriegsgefangenen weder evakuiert noch zum Kampf gegen die US-Truppen gezwungen werden: „Sofort wurden die Zigaretten und der Fußball herausgeholt.“
Als amerikanische Soldaten mit ihrem Panzerverband am 11. April 1945 Fallersleben erreichten, interessierten sie sich zunächst kaum für das Fahrzeugwerk und die neue Siedlung hinter der Hoffmannstadt. Auf ihren alten Karten waren weder Volkswagenwerk noch die „Stadt des KdF-Wagens“ eingezeichnet – und außerdem zog es sie weiter nach Osten. Denn sie hatten den Auftrag, auf jeden Fall vor der Sowjetarmee zur Elbe zu gelangen. Im Werk selbst, wo noch Stunden zuvor die letzten Kübelwagen montiert wurden, drohte großes Chaos. Die Werkleitung war nicht mehr da, SS und der Werkschutz waren geflohen oder abgetaucht, die ausgebeuteten Zwangsarbeiter rebellierten. Französische Kriegsgefangene und zum Arbeitsdienst gezwungene niederländische Studenten formierten eine Art Ordnungsdienst, um die Gewalt einzudämmen, Kraftwerksleiter Fritz Kuntze, der katholische Prälat Antonius Holling und zwei Ingenieure überzeugten die US-Solaten schließlich, das Fabrikgelände zu besetzen.
Jean Baudet erlebt diese Tage in einem ausgelagerten VW-Betriebsteil in Neindorf. Der Zwangsarbeiter aus Frankreich erinnerte sich später an den Moment, in dem klar wurde, dass die Kriegsgefangenen weder evakuiert noch zum Kampf gegen die US-Truppen gezwungen werden: „Sofort wurden die Zigaretten und der Fußball herausgeholt.“
Fußball. Mitten im Durcheinander der letzten Wochen des Zweiten Weltkriegs. In einer Stadt, die noch gar keine richtige Stadt ist, sondern eine unfertige und teilweise zerstörte Ansammlung von Siedlungen, Baracken und Lagern. Für Baudet und die anderen Kriegsgefangenen ist es ein Stück heilsame Normalität, gegen einen Ball treten zu können. Und obwohl eine Betriebssport-Fußballmannschaft schon während des Krieges am Spielbetrieb der „Gauliga Niedersachsen“ teilgenommen hatte, ist an organisierten Sport jetzt zunächst nicht zu denken. Denn es gibt Wichtigeres. Die Versorgung der Bevölkerung, das Schicksal der im Werk eingesetzten Zwangsarbeiter, die Frage nach der Zukunft der teilweise zerbombten Produktionstätte. Als die US-Truppen erkannten, dass das VW-Werk mehr sein kann als nur eine große Werkstatt für ihre kaputten Jeeps, ließen sie die Produktion in sehr bescheidenen Maßstäben wieder anrollen. 133 „Volkswagen Jeep“ entstanden so im Mai 1945, wichtiger noch als der Nutzen dieser Fahrzeuge aber war das Signal: Es wird weiter produziert. Es gibt eine Art von Zukunft für die Menschen, die mit und rund um VW leben.
Ein Signal, das auch bei den Briten ankam, die nach der Festlegung der Zonengrenzen Anfang Juni 1945 Werk und Stadt übernahmen und dort weiter Autos bauen ließen. Sport trieben die britischen Soldaten auch, machten unter anderem Boxtraining. Und das mit einem einheimischen Boxtrainer: Kurt Lindner, ein Installateur, der sich wie gut 14.000 andere Menschen auch seit dem 25. Mai „Wolfsburger“ nennen durfte – die Amerikaner hatten die Umbenennung der Stadt angeregt. Lindner nutzte seine Kontakte, um für die Gründung eines Wolfsburger Sportvereins eine wohlwollende Empfehlung des britischen Stadtkommandanten zu bekommen. Die Militärregierung in Hannover beeindruckte das allerdings nicht – sie lehnte am 19. Juni die Gründung eines zivilen Sportvereins ab. Zusammen mit dem sportbegeisterten Willi Hilbert drängte Lindner die Briten dann aber immerhin zu einem Kompromiss: Ein Kulturverein, der mit Laienspiel und Tanz zur kulturellen Bildung und mit politischen Akzenten zur Demokratisierung der Bevölkerung beitragen soll, wurde am 4. Juli erlaubt – und in diesem Verein könne man dann ja auch Sport treiben.
Und so lud Bürgermeister Felix Laurent elf Männer und eine Frau für den 12. September in eine Baracke an der Reislinger Straße ein – zu einer Zusammenkunft, die als „Gründungsversammlung“ in die Chroniken einging. Neben Lindner und Hilbert gehörte auch Erich Schilling, der ebenfalls die Gründung eines Sportvereins geplant hatte, zu den Eingeladenen – und wurde erster Vorsitzender des „Volkssport- und Kulturvereins“, wie das neue Gebilde zunächst hieß. Seit diesem September-Mittwoch vor 75 Jahren hatte die Stadt, die erst seit 110 Tagen Wolfsburg hieß, also einen Sportverein – aber wie viel Sport, wie viel Kultur und wie viel Politik in diesem Verein stecken sollte, war umstritten. Schilling, der sich nicht auf Sport beschränken wollte, trat zurück, Hilbert übernahm und machte zusammen mit anderen Mitgliedern der ersten Stunde aus dem „VSK“ den „VfL“, den Verein für Leibesübungen Volkswagen Wolfsburg mit den ersten Abteilungen Fußball, Handball, Turnen (zusammen mit Leichtathletik), Tennis, Radsport, Boxen und Schach.
Das „Volkswagen“ verschwand nach wenigen Wochen, die Fußballer auch, sie gründeten mit dem FC ihren eigenen Verein – aber in der schnell wachsenden Stadt fanden sich genug Kicker, die für den VfL spielen wollten. Und Kreisjugendpfleger Bernward Elberskirch, der die Vereinsgründung von Beginn an begleitet hatte, fand zehn grüne Hemden, aus weißen Bettlaken entstanden Hosen. Der VfL hatte seine Vereinsfarben, und bald auch eine Heimat: Der zuständige Liegenschaftsverwalter der Stadt erteilte 1947 die Genehmigung zur sportlichen Betätigung auf einem Gelände zwischen dem damals einzigen Gymnasium in Wolfsburg und einer Fläche Weideland – dort entstand der Sportplatz, der später das VfL-Stadion wurde. Den ersten großen sportlichen Erfolg freilich hatte der VfL schon, als er noch den Platz auf dem Werksgelände oder Flächen in umliegenden Dörfern nutzte: Die Fußballer wurden 1946 Meister der 1. Kreisklasse Gifhorn. Text: Andreas Pahlmann
Ein Signal, das auch bei den Briten ankam, die nach der Festlegung der Zonengrenzen Anfang Juni 1945 Werk und Stadt übernahmen und dort weiter Autos bauen ließen. Sport trieben die britischen Soldaten auch, machten unter anderem Boxtraining. Und das mit einem einheimischen Boxtrainer: Kurt Lindner, ein Installateur, der sich wie gut 14.000 andere Menschen auch seit dem 25. Mai „Wolfsburger“ nennen durfte – die Amerikaner hatten die Umbenennung der Stadt angeregt. Lindner nutzte seine Kontakte, um für die Gründung eines Wolfsburger Sportvereins eine wohlwollende Empfehlung des britischen Stadtkommandanten zu bekommen. Die Militärregierung in Hannover beeindruckte das allerdings nicht – sie lehnte am 19. Juni die Gründung eines zivilen Sportvereins ab. Zusammen mit dem sportbegeisterten Willi Hilbert drängte Lindner die Briten dann aber immerhin zu einem Kompromiss: Ein Kulturverein, der mit Laienspiel und Tanz zur kulturellen Bildung und mit politischen Akzenten zur Demokratisierung der Bevölkerung beitragen soll, wurde am 4. Juli erlaubt – und in diesem Verein könne man dann ja auch Sport treiben.
Und so lud Bürgermeister Felix Laurent elf Männer und eine Frau für den 12. September in eine Baracke an der Reislinger Straße ein – zu einer Zusammenkunft, die als „Gründungsversammlung“ in die Chroniken einging. Neben Lindner und Hilbert gehörte auch Erich Schilling, der ebenfalls die Gründung eines Sportvereins geplant hatte, zu den Eingeladenen – und wurde erster Vorsitzender des „Volkssport- und Kulturvereins“, wie das neue Gebilde zunächst hieß. Seit diesem September-Mittwoch vor 75 Jahren hatte die Stadt, die erst seit 110 Tagen Wolfsburg hieß, also einen Sportverein – aber wie viel Sport, wie viel Kultur und wie viel Politik in diesem Verein stecken sollte, war umstritten. Schilling, der sich nicht auf Sport beschränken wollte, trat zurück, Hilbert übernahm und machte zusammen mit anderen Mitgliedern der ersten Stunde aus dem „VSK“ den „VfL“, den Verein für Leibesübungen Volkswagen Wolfsburg mit den ersten Abteilungen Fußball, Handball, Turnen (zusammen mit Leichtathletik), Tennis, Radsport, Boxen und Schach.
Das „Volkswagen“ verschwand nach wenigen Wochen, die Fußballer auch, sie gründeten mit dem FC ihren eigenen Verein – aber in der schnell wachsenden Stadt fanden sich genug Kicker, die für den VfL spielen wollten. Und Kreisjugendpfleger Bernward Elberskirch, der die Vereinsgründung von Beginn an begleitet hatte, fand zehn grüne Hemden, aus weißen Bettlaken entstanden Hosen. Der VfL hatte seine Vereinsfarben, und bald auch eine Heimat: Der zuständige Liegenschaftsverwalter der Stadt erteilte 1947 die Genehmigung zur sportlichen Betätigung auf einem Gelände zwischen dem damals einzigen Gymnasium in Wolfsburg und einer Fläche Weideland – dort entstand der Sportplatz, der später das VfL-Stadion wurde. Den ersten großen sportlichen Erfolg freilich hatte der VfL schon, als er noch den Platz auf dem Werksgelände oder Flächen in umliegenden Dörfern nutzte: Die Fußballer wurden 1946 Meister der 1. Kreisklasse Gifhorn. Text: Andreas Pahlmann