Der Spagat zwischen Erinnerungen und Neubau

         
Ein großer Triumph für den VfL mit Trainer Hein Büker: 1963 werden Wolfsburgs Feldhandballer durch einen 9:6-Sieg im Finale von Wuppertal gegen den BSV Solingen 1898 deutscher Meister. Fotos: WAZ-Archiv NoP72 VfL Wolfsburg Manfred Hensel
Ein großer Triumph für den VfL mit Trainer Hein Büker: 1963 werden Wolfsburgs Feldhandballer durch einen 9:6-Sieg im Finale von Wuppertal gegen den BSV Solingen 1898 deutscher Meister. Fotos: WAZ-Archiv NoP72 VfL Wolfsburg Manfred Hensel
Der VfL stand für erfolgreichen Leistungssport in vielen verschiedenen Disziplinen. Dann stiegen die Fußballer des Vereins zweimal auf und alles wurde anders. Im Jubiläumsjahr kämpft der Klub vom Elsterweg deshalb um einen erfolgreichen Spagat zwischen schwarz-weißen Erinnerungen und einer stabilen Zukunft.  

Als an diesem September-Sonntag im Jahr 1972 die Nation um kurz nach 18 Uhr vor dem Fernseher saß, war Hildegard Falck nicht zu schlagen. Gold für Deutschland in München, zum ersten Mal Olympia-Gold für den VfL Wolfsburg. Keine Sensation, denn die blonde 800-Meter-Läuferin war ein Jahr zuvor Weltrekord über diese Distanz gelaufen. Aber es war ein Meilenstein in der Wolfsburger Sportgeschichte. Und in der
Geschichte des VfL.
Die erste Olympia-Medaille des VfL: Angelika Dünhaupt holte Bronze im Rennrodeln.
Die erste Olympia-Medaille des VfL: Angelika Dünhaupt holte Bronze im Rennrodeln.
Hildegard Falck, geborene Janze, war der Liebe wegen Wolfsburgerin geworden, Ehemann Rolf Falck war ein VfL-Mittelstreckler. Andere kamen wegen VW, die Autobauer hatten früh damit begonnen, ein für Leistungssportler freundliches Zusammenspiel zwischen Arbeit und Sport zu ermöglichen. Wieder andere gehörten zu der ersten Generation der in diesen jungen Stadt geborenen Einheimischen.

So hatte sich in den Jahren nach der VfL-Gründung einiges an nationalem und internationalem Sportruhm angesammelt, schon vor dem Gold-Lauf von München. Gretel Gebauer war die erste deutsche Meisterin des VfL, sie gewann 1954 im Terrassenschwimmbad von Bad Kissingen den Titel im Kunstspringen vom Drei-Meter-Brett. Die Leichtathleten Theo Püll und Manfred Steinbach wurden sechs Jahre später die ersten Olympia-Teilnehmer des VfL. Angelika Dünhaupt holte 1968 die erste Olympia-Medaille des VfL, wurde in Grenoble Dritte im – man mag es kaum glauben – Rennrodeln. Die Feldhandballer des VfL gehörte zu den besten im Lande, wurden 1963 deutscher Meister, nachdem zwei von ihnen – Peter Baronsky und Paul Schwope – vier Jahre zuvor mit der deutschen Auswahl bereits Weltmeister geworden waren. Und Klaus Glahn, einer der besten Schwergewichtler der Welt, läutete mit Beginn der 70er Jahre die große Zeit des Wolfsburger Judo-Sports ein.
Zeitenwende: Die Fußballer des VfL (links Frank Plagge) feiern 1992 den Aufstieg in den Profifußball.
Zeitenwende: Die Fußballer des VfL (links Frank Plagge) feiern 1992 den Aufstieg in den Profifußball.
Es folgten internationale Erfolge, in der Leichtathletik, im Judo, im Schwimmen oder auch im Gewichtheben. Wolfsburg war stolz auf seinen Ruf als Sportstadt, der VfL und der TV Jahn waren die beiden größten Sportvereine Niedersachsens.

Dann kamen die 90er, und alles wurde anders. Aus dem VfL Wolfsburg, der für Leistungssport in der Breite stand, wurde ein Fußballverein. 1992 stiegen die Kicker in die 2. Liga auf, 1997 in die Bundesliga. Das Koordinatensystem des VfL hat sich seitdem dauerhaft verschoben – auch, weil der boomende Privat-TV TV-Markt dem Profifußball fast überall in Europa eine Präsenz gab, die anderen Sportarten Aufmerksamkeit raubte.

„Mittlerweile sind wir ein Breiten- und Gesundheitssportverein“, sagt Stephan Ehlers, seit 2007 Geschäftsführer des VfL Wolfsburg e.V. Die beiden Buchstaben hinter dem Vereinsnamen sind wichtig, denn wer „VfL Wolfsburg“ sagt, der meint in der Regel die Berufsfußballer, die sich kurz nach der Jahrtausendwende erst organisatorisch – durch die Gründung der Fußball-GmbH – und dann auch räumlich durch den Arena-Bau vom Rest des Vereins entfernten. Wobei „Restverein“ eine Bezeichnung ist, die sie am Elsterweg nie gern hörten.
Gold für den VfL: Hildegard Falck 1972 in München
Gold für den VfL: Hildegard Falck 1972 in München
Und dort am Elsterweg, wo Stadion und das 1971 errichtete Leistungszentrum einst der Mittelpunkt des Wolfsburger Sports waren, kämpft der „Gesamtverein“ nun seit über zwei Jahrzehnten um einen erfolgreichen Spagat zwischen schwarzweißen Erinnerungen und einer stabilen Zukunft. In der Leichtathletik gab es immer mal Aushängeschilder – die 400-Meter-Läufer Lars Figura und Dirk Dautzenberg etwa oder den Acht-Meter-Weitspringer Christoph Stolz. Doch je mehr sich VW und Medieninteresse auf den Profifußball konzentrierten, desto schwieriger wurde es, Sportler der nationalen Spitze zum VfL zu locken oder dort zu halten. Sven Knipphals, Sprinter mit familiärer VfL-Bindung, war da eine Ausnahme. Die Lücke, die nach seinem Karriere-Ende entstand, konnte der VfL mit der Verpflichtung von Deniz Almas schließen, der dem VfL prompt den ersten deutschen Leichtathletik-Titel seit dem Kugelstoß-Erfolg von Stephanie Storp 1994 bescherte.

In Sachen Judo liefert aktuell der MTV Vorsfelde mit Giovanna Scoccimarro das Wolfsburger Aushängeschild, nationale Spitze ist der VfL im 75. Jahr seines Bestehens eher in nicht-olympischen Sportarten. Im Armwrestling, im Modernund Jazzdance oder im Bowling. „Wir brauchen weiterhin Leuchttürme im Leistungssport“, sagt Ehlers, „aber der Fokus ist ein anderer.“ Sport für alle ist das große Thema des VfL 2020 – für den, der nach Feierabend ein bisschen Bewegung sucht, für den, dem der Arzt diese Bewegung verschrieben hat, für den, der sich auf der Yoga-Matte wohler fühlt als auf der Aschenbahn.
Der neue VfL: Auf dem Gelände am Elsterweg soll bis 2024 ein moderner Sportpark entstehen – mit Mehrzweck-Sportfläche, Halle und Kindergarten.
Der neue VfL: Auf dem Gelände am Elsterweg soll bis 2024 ein moderner Sportpark entstehen – mit Mehrzweck-Sportfläche, Halle und Kindergarten.
Das Ganze auf einem Gelände, das sich wandeln muss, um das Zentrum des Wolfsburger Sports zu bleiben. Das genau waren Stadion und Anlangen am Elsterweg jahrzehntelang, mittlerweile sind sie ein Problem, vor allem ein finanzielles. Allein die Instandhaltung droht den Verein zu überfordern, ohne Unterstützung der Fußball-GmbH, die Plätze und Räume mietet, wäre das schon jetzt nicht zu stemmen. Und so findet die wichtigste Zukunftsplanung des Vereins nicht auf Sportplätzen und in Turnhallen statt, sondern auf dem Reißbrett. Auf dem rund 100.000 Quadratmeter großen VfL-Gelände zwischen Berliner Ring und Amselweg soll in Zusammenarbeit mit dem Investor Volksbank BraWo und der Stadt der VfL-Sportpark entstehen, unter anderem mit Mehrzweck-Sportfläche, Halle, Kindersportschule und Wohnbauten. Einen zweistelligen Millionen-Betrag wird das kosten – wenn die Politik mitspielt, sind die ersten Anlagen 2024 fertig. Das Projekt würde „Wolfsburg wieder einmal als innovative Sportstadt glänzen lassen“, sagt Vereinspräsident Prof. Dr. Peter Haase. Und den VfL in eine Zukunft führen, die weniger denn je von Medaillen, Rekorden und Bestzeiten abhängig sein soll. Text: Andreas Pahlmann

Die Abteilungen des VfL

Fußball (seit 1945) Handball (1945) Turnen (1945) Leichtathletik (1946) Hockey (1946) Wasserspringen (1947) Schwimmen (1947) Judo/Ju-Jutsu (1953) Gewichtheben (1954) Boxen (1955) Fechten (1955) Badminton (1956) Basketball (1957) Reha–Sport (1959) Volleyball (1973) Jazz-Dance (1975) Tanzen (1976) Wushu (1976) Bowling (1978) Rollkunstlauf (1982) Tauchsport (1984) Triathlon (1986) Armwrestling (1993) Cheerleading (1998) Motorsport (2005) Karate/Kyudo (2006) Fördersport (2007) Darts (2010) Fanszene (2018)
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