Prof. Dr. Peter Haase: Ich musste dann den Leuten sagen, dass Leistungssport nicht funktioniert

         
Fotos: Boris Baschin
Fotos: Boris Baschin
Seit 2007 ist Prof. Dr. Peter Haase Präsident des VfL Wolfsburg e.V. – wenige seiner Vorgänger konnten auf eine so lange Amtszeit zurückblicken. Im AZ/WAZ Interview zum 75. Geburtstag des Vereins spricht der 78-Jährige über die Situation und die Perspektiven des Vereins im Jubiläumsjahr. 

Professor Haase, wenn alles klappt, ist der VfL-Sportpark am Elsterweg 2024 fertig – wäre damit auch der „Umbau“ des VfL zu einem Breiten- und Gesundheitsportverein abgeschlossen?  


Ja. Und vor allem wollen wir noch mehr ein Verein für alle Generationen sein, das machen unsere Pläne auch deutlich. Von der Kindersportschule bis zur Wassergymnastik – wir machen Angebote für jede Altersgruppe.  

Andere Vereine, etwa der VfB Fallersleben, sind diesen Weg schon gegangen – ist der VfL da ein bisschen spät dran?  

Ja, das muss man so sagen.  

Woran liegt das?  

Wir hatten schon rein räumlich nicht die Möglichkeiten zu wachsen. Das gilt immer noch. In einigen Abteilungen – etwa im Cheerleading, Schwimmen oder in einigen Ballsportarten – müssen wir heute schon Menschen abweisen, die gern bei uns mitmachen würden. Weil wir die Kapazitäten einfach nicht haben. Die Idee, das Vereinsgelände hier umzubauen, gab es ja schon 2008. Aber damals wurde ja noch diskutiert, was man hier am Elsterweg alles sonst noch machen könnte. Das ist ein hochgradig politisches Thema, weil das Gelände durch seine Lage viel Fantasie befördert. Es gab ja viele Ideen: Büros, Hotel, Wohnanlagen, da gab es ja jede Menge Ideen. Hätten wir damals schon angefangen, wären wir vielleicht 2012 fertig gewesen – und hätten damit genau die Sportangebote machen können, die in den Trend gepasst hätten. Jetzt werden wir uns Mitglieder zurückerobern müssen, auch von den Vereinen, die schon eine sehr gute Infrastruktur haben. Der TV Jahn ist gut aufgestellt, der MTV Vorsfelde auch, ganz vorn ist der VfB Fallersleben. Wie der VfB das gemacht hat, davor muss man den Hut ziehen. Der Verein ist sehr gut aufgestellt.

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"Wir kämpfen nicht darum, der größte Verein Wolfsburgs zu sein. Lieber wären wir der beste Verein."

Der VfL hatte bis in die 90er Jahre hinein einen starken Leistungssport-Bezug – mit Olympiasiegern und international erfolgreichen Spitzensportlern. Wie schwierig ist es, diese Vereinsidentität zu verändern?

Das hat sich automatisch ergeben. Als ich 2007 kam, war der Verein – ich formuliere das jetzt einmal drastisch – quasi pleite. Da ging es erst einmal ums Sanieren, mit neuem Buchhaltungssystem und mehr Transparenz. Damals mussten wir sagen, wir machen Abteilungen dicht, Skilaufen etwa oder Tischtennis. Ich habe viele Gespräche geführt und habe den Menschen hier im Verein sagen müssen: Schaut euch mal die Bilanz an, Leistungssport funktioniert nicht. Wir brauchten eine andere Philosophie – und der Umbau zu einem Breiten- und Gesundheitssportverein war von Anfang an ein harter Prozess, den wir da miteinander durchmachen mussten.

Ende 2007 verkaufte der VfL e.V. auch seinen zehnprozentigen Anteil an der Fußball-GmbH an VW…

Dadurch waren wir aus dem Schneider, das kann man ja ruhig zugeben. Wir hatten wieder Liquidität – und sind heute schuldenfrei. Es gibt keine roten Zahlen mehr in den Budgets – es sei denn, wir machen bewusste Ausnahmen wie etwa vor zehn Jahren, als unsere Handballerinnen in der 2. Liga spielten...

...und sich dort aus wirtschaftlichen Gründen zurückziehen mussten.

Ja, das war für uns ein Lernerlebnis. Die 2. Handball-Bundesliga können sie als e.V. schlicht und ergreifend nicht bezahlen. Wir mussten den anderen Abteilungen erklären, warum Handball plötzlich Geein Minus im sechsstelligen Bereich macht. Damals fehlte der Unterbau, der sportliche Erfolg war zu schnell gekommen. Aktuell erleben wir gerade im Handball das Gegenteil, die Abteilung macht super Arbeit und schafft Grundlagen für sportlichen Erfolg.

Auch im Handball denkt man wieder in Richtung Leistungssport – ist dafür in einem Gesundheits- und Breitensportverein überhaupt Platz?

Nicht nur das, es ist sogar nötig, solche Leuchttürme zu haben, damit der Verein attraktiv bleibt. Darum sind wir ja beispielsweise auch so froh, dass wir nach Sven Knipphals jetzt mit Deniz Almas wieder einen Top-Sprinter bei den Leichtathleten haben. Wir haben ein fünfstelliges Jahres-Budget für diese Leistungssport- Leuchttürme. Das ist wichtig – aber eben auch begrenzt.

Was würde Sie persönlich sportlich besonders freuen?

Ich komme aus der Leichtathletik, mein Traum wäre eine richtig gute Wolfsburger 4x100-Meter-Staffel. Vielleicht bekommen wir das hin.

Dazu müssten Sie vor allem erst einmal einen Leuchtturm wie Almas weiter an den Verein binden können – wird das irgendwann wirtschaftlich schwierig?

Das kann sein. Aber dann muss man eben Finanzierungsmodelle suchen, damit das geht. Ich habe keine Scheu, Wolfsburg da in die Pflicht zu nehmen – die Autostadt, die Fußball-GmbH, andere Firmen, die dem VfL verbunden waren oder vielleicht noch sind. Aus eigenen Geldern wird das schwer. Aber wir werden alles versuchen – denn die beste Werbung für einen Verein sind nun einmal erfolgreiche Sportler.

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"Gehen wir pleite, muss sich die Fußball-GmbH einen anderen Partnerverein suchen."

Der VfL hatte mal an die 7000 Mitglieder, jetzt sind es rund 4500, der VfL ist nicht mehr der größte Verein der Stadt. Tut das weh?

Es tut zunächst einmal wirtschaftlich weh, denn was an Mitgliedsbeiträgen fehlt, kann man nicht durch Sponsoren wettmachen – die konzentrieren sich im Zweifelsfall lieber auf Fußball. Wir kämpfen aber auch nicht darum, der größte Verein Wolfsburgs zu sein. Lieber wären wir der beste Verein.

Die Gründung der Fußball-GmbH und damit der Abschied des Profifußballs aus dem VfL e.V. war 2001 ein großer Einschnitt. War er aus heutiger Sicht richtig?

Mir persönlich gefällt auch das Bayern-München-Modell sehr gut, dort haben mit Audi, Allianz und Adidas drei große Firmen ihre Anteile, der Verein hat die Mehrheit – und hatte mit Uli Hoeneß als Präsidenten eine ganz wichtige Galionsfigur. Aber so ein Konstrukt können Sie mit VW nicht machen. Was Volkswagen anpackt, wollen sie zu 100 Prozent machen. Mir ist das klar, ich war ja lange genug dort.

Wie wichtig ist das Miteinander zwischen GmbH und e.V.?

Würde der Profi-Fußball hier am Elsterweg nicht Plätze und Räume mieten, wäre das Gelände für den Verein ja schon lange wirtschaftlich nicht mehr tragbar.

Nein, so einfach ist das nicht, das ist schon eine Verbindung zu beiderseitigem Nutzen. Die Fußball-GmbH muss ja einen Nachwuchs-Unterbau nachweisen, sonst bekommen die Profis keine Lizenz. Drastisch formuliert: Gehen wir pleite, muss sich die GmbH einen anderen Partnerverein suchen. Da ist ein Miteinander wichtig, das mussten wir den wechselnden Geschäftsführern der GmbH auch immer mal wieder erklären. Felix Magath war da eine Ausnahme, der hat das verstanden und genutzt – und auch mal seine Fußballer zum Judo geschickt oder die Anlagen hier zum Lauftraining genutzt.

Das Verhältnis zwischen GmbH und e.V. war nicht immer leicht – wie ist es aktuell?

Vor allem war es kompliziert. Als ich anfing, hatten wir zwölf Verträge zwischen e.V. und GmbH – vom Logo über die Nutzung der Flächen bis hin zur Aufteilung von Personalkosten. Dann haben wir das neu verhandelt, was mühsam war, weil die GmbH-Geeinschäftsführer immer mal wieder wechselten. Nach drei Jahren waren wir so weit, jetzt ist alles in einem einzigen Vertrag geregelt. Und das Verhältnis ist jetzt wirklich gut, was nicht zuletzt am Aufsichtsratsvorsitzenden der GmbH liegt. Frank Witter ist ein aufmerksamer Zuhörer, nimmt die Leute ernst, mit denen er spricht und informiert rechtzeitig. Er hat ein Verständnis für gute Vernetzung und Verbindung zwischen e.V. und GmbH – und das rechnen wir ihm hoch an.

An anderen Standorten der Fußball-Bundesliga sind viele Fans auch Mitglieder des Vereins. Bei einer GmbH geht das nicht, die Profi-Fußballer haben dafür den „Wölfe-Club“ gegründet.

Hätte man die Fans, die da dabei sind, nicht auch zu Mitgliedern des e.V. machen können. Diese Idee hatten wir – und wir haben Sie auch mit der GmbH diskutiert, das ist noch gar nicht so lange her. GmbH-Geschäftsführer Thomas Röttgermann war dafür auch offen, aber als er weg war, ist nichts daraus geworden. Ansonsten hätten wir jetzt 20.000 Mitglieder mehr (lacht) – und würden nicht darüber reden, wer der größte Sportverein in der Stadt ist. Interview: Andreas Pahlmann

Prof. Dr. Peter Haase

Der Präsident des VfL Wolfsburg e.V. wurde am 19. September 1941 in Bremerhaven geboren und wuchs in Bremen auf. In seiner Jugend war er erfolgreicher Leichtathlet, musste seine Karriere aber früh wegen einer Verletzung beenden. In Göttingen und Kiel studierte er Betriebswirtschaftslehre und promovierte anschließend an der TU Braunschweig (wo er später auch Lehrbeauftragter war) zum Doktor der Staatswissenschaften. Bei VW war der Hobby-Tennisspieler (der den TV Westhagen mitbegründete und zehn Jahre Vorsitzender war) jahrelang für Manager-Ausbildung zuständig, arbeitete an vielen VW-Standorten weltweit. Von 1995 bis 2006 leitete Haase die VW Coaching GmbH.
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