Fussball muss zugänglich bleiben

   
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Sie ist die VfL-Reporterin des NDR-Fernsehens: Inka Blumensaat (40) berichtet fast von jedem Spiel, besuchte schon VfLStars in deren brasilianischer Heimat für längere Filmbeiträge. Inzwischen sieht man die freie Mitarbeiterin auch öfter vor der Kamera, etwa bei Übertragungen vom Frauenfussball. Im Interview verrät die – quasi vor den Toren Hamburgs geborene – Lüneburgerin, was sie vom VfL noch erwartet, wie sie Coach Oliver Glasner sieht, was sie selbst früher auf dem Fussballplatz gemacht hat und warum ihr die Traditionsklub-Debatte um den VfL gegen den Strich geht.

Von Jürgen Braun  
     
Sie sind die VfL-Reporterin des NDR – oder würde man Ihnen nicht gerecht, wenn man Sie so nennt?

Doch, VfL-Reporterin passt schon. Ich bin so richtig in die NDR-Berichterstattung über den VfL in der Meistersaison eingestiegen. Dann habe ich es sehr lange allein gemacht, inzwischen machen wir es zu zweit, wobei ich schon verstärkt bei Spielen vor Ort und noch näher dran bin.

Was war Ihre erste Berührung mit dem VfL?

Als Journalistin habe ich 2007 in Hamburg in der Sportredaktion angefangen, durfte ein halbes Jahr lang zunächst zum Beispiel über Formationstanz, Reiten und Ähnliches berichten – und habe dann in der Rückrunde der Saison 2007/08 Bielefeld gegen Wolfsburg als Interviewerin für die Sportschau gemacht. Es war das erste Bundesligaspiel von Diego Benaglio. Am nächsten Tag gab es deshalb noch einen Nachdreh in Wolfsburg mit ihm. Diego hatte ein Foto-Shooting fürs Stadionmagazin, wo sich jemand überlegt hat, ihn an ein Schlagzeug zu setzen. Wer ihn kennt, weiß, dass er nicht so die Rampensau ist. Der erste Satz der Reportage war: „Diego Benaglio ist aus dem Takt gekommen, zum ersten Mal in dieser Woche.“
   
Wolfsburg hat sich neu aufgestellt, Neuanfang mit neuem Trainer, einigen neuen Spielern, wie stellt sich der VfL aus Ihrer Sicht dar?

Bei aller Sympathie für Bruno Labbadia, den ich sehr geschätzt habe: Ich kann den Umbruch, den der Verein wollte, zu einem moderneren Fußball, einem anderen Spielstil, total nachvollziehen, da sehe ich eine Parallele zu Gladbach. Man wollte sich auf eine andere Stufe katapultieren – dafür war der alte Trainer wahrscheinlich nicht der Richtige. Ich hätte aber Glasners Spielsystem nicht so kompliziert eingeschätzt, dass die Spieler offenbar so lange brauchen, um das zu verstehen und umzusetzen. Ich hätte, ehrlich gesagt, ein bisschen mehr Spektakel erwartet, mehr Chancen, mehr Tempo. Zunächst sah es nicht nach Fortschritt aus.

Attraktive Spiele fehlten lange, aber auch gegen Top-Teams bekam Wolfsburg das Stadion nicht voll...

Meine Botschaft wäre: „Entfremdet den Fußball nicht noch mehr von den Menschen“. Wesentlich dafür ist, was mit den Fernsehrechten passiert. Zu viele Anbieter, zu viele Spiele, zu unterschiedlichen Zeiten. Wer schaut überhaupt noch die Bundesliga-Freitagsspiele? Ich kenne Leute, die sind nicht bereit, für jeden Anbieter die passende App oder das Abo zu haben. Die Erst- und Zweitligisten müssen überlegen, wonach sie sich richten. Wollen sie so viel Geld wie möglich von internationalen Konzernen, die die Fernsehrechte kaufen und nur per Stream senden, oder wie wichtig ist ihnen auch die Präsenz regionaler und lokaler Sponsoren? So ein Relegationsspiel wie Wolfsburg gegen Braunschweig hatte öffentlich-rechtlich im Ersten so um die sechs Millionen Zuschauer. Wenn es ein Jahr später, ich sag‘ mal, Eurosport überträgt, hast du da ein Zehntel der Zuschauer. Dadurch, dass auch die Champions League nicht mehr im Free-TV kommt, sinkt die gesellschaftliche Bedeutung des Spitzenfußballs. Der ist dann kein Geprächsthema mehr morgens beim Bäcker oder in den Büros. Der Fußball muss zugänglich bleiben, muss an den Menschen dranbleiben. In Wolfsburg kann ich etwa die Kulisse gegen Olexandrija nachvollziehen, was mich aber wundert, ist, dass gegen Bremen nicht mehr gekommen sind. Trotz allem darf man nicht vergessen, dass Wolfsburg zu den kleinsten Liga-Standorten gehört und auch das Einzugsgebiet mit dem anderer Städte nicht zu vergleichen ist.
      
Fussball und Familie: Inka Blumensaat mit Söhnchen Nick während der Frauen-WM 2019 in Montpellier.
Fussball und Familie: Inka Blumensaat mit Söhnchen Nick während der Frauen-WM 2019 in Montpellier.
Spiegelt sich dieses Thema auch bei der Nationalmannschaft wieder?

Ja. Ich finde es eine größere Enttäuschung, dass ein Länderspiel in Gladbach nicht ausverkauft ist, als dass bei Wolfsburg gegen Olexandrija nur 10.000 kommen. Das ist auch eine Art von Entfremdung.

Wer wird deutscher Meister?

Ich bin froh, dass es mit Leipzig einen Herbstmeister gegeben hat, den es noch nie gab. Ich hoffe, Gladbach bleibt auf seinem guten Weg, ich könnte mir aber vorstellen, dass die Bayern die paar Punkte, die sie jetzt noch Rückstand haben, aufholen. Das kann schnell gehen.

Kann es ein Mehrkampf werden?

Leipzig spielt ja, man mag vom Konstrukt des Klubs halten, was man will, einen tollen Fußball. Aber ich glaube, dass Bayern München es macht. Ich bin enttäuscht von Dortmund, muss ich sagen. Wenn ich sehe, was die in den Kader gebuttert haben, hätte ich mehr erwartet, ich finde es schade, dass die mit dem Kader nicht so überzeugen.

Wo landet der VfL Wolfsburg?

Der VfL kann noch Sechster werden. Bis dahin sind es nur vier Punkte. Die Teams, die unmittelbar vor Wolfsburg stehen, sind auch nicht konstant gewesen. Die Systemumstellung zum Ende der Saison hat beim VfL zu mehr Torgefahr geführt, ohne auf Kosten der Defensivstärke zu gehen. Es hat wirklich Spaß gemacht, die Spiele gegen Gladbach und Schalke zu schauen, selbst in München hat das Team stark gespielt. Die Rückkehr von Xaver Schlager hat enorm geholfen. Seit seiner Verletzung hatte Wolfsburg kaum attraktive Spiele gemacht. Er ist einer, der spürbar gefehlt hat, ein total spielintelligenter Spieler, sehr schnell im Kopf. Einer, der gute Entscheidungen trifft.

Gab es für Sie einen Spieler der Hinrunde?

Beim VfL Wout Weghorst. Nicht nur wegen seiner Tore, ich finde ungeheuerlich, wie viel der in jedem Spiel rennt. Und die ganze Einstellung, von ehrlicher Freude bis zu ehrlichem Frust. Bei ihm hat man nie das Gefühl, es ist ihm etwas scheißegal. Wenn man aus Sicht der Fans über Identifikationsfiguren spricht – er ist eine.

Wer beeindruckt Sie in der Liga?

Da beeindruckt ein alter Bekannter am meisten: Was Robert Lewandowski Jahr für Jahr bei den Bayern abspult und wie konstant treffsicher er ist, verdient echt Respekt.

Welche Rolle hat Fußball eigentlich in Ihrem Leben gespielt?

Ich komme aus Lüneburg, habe wenige Minuten entfernt vom Ortsteil Wilschenbruch gelebt, wo das altehrwürdige Stadion des LSK stand. Das ist abgerissen worden. Leider. Ich habe als Dreijährige während der Spiele der Regionalliga-Mannschaft dort Pfandflaschen gesammelt und dafür Süßigkeiten gekauft. Meine Eltern haben Tennis gespielt, mein Bruder war ein recht talentierter Fußballer. Fußball und Sport waren bei uns in der Familie immer ein sehr großes Thema. Alles, was damals zu dem Thema im Fernsehen kam, haben wir geschaut. Als Kind war ich dann Werder-Bremen-Fan.

Warum nicht HSV, der liegt doch näher?

Das war wohl Protesthaltung gegen Bayern München. Mein Bruder war Bayern-Fan, und ich habe die Mannschaft genommen, die auch oben dran war – Bremen.

Sie berichten für die ARD auch über Frauenfußball, also sozusagen doppelt über den VfL...

Wenn man da beim Thema Zuschauer ist, denke ich gerne an den Elsterweg. Zum einen ist der VfL zwar bundesligaweit führend in der Zuschauertabelle, aber andererseits bewegt sich das auf niedrigem Niveau. Ich würde mir auch mehr Begeisterung der eingefleischten Fans wünschen, dass sie nicht nur Fans vom Männerfußball sind, sondern auch zum Frauenfußball gehen. Die haben das verdient, man kann sich diese Spiele gut angucken. Ich habe das Gefühl, dass es in der aktiven Fanszene eine Ablehnung gegenüber dem AOK-Stadion gibt. Mein Wunsch wäre: Nehmt den Frauenfußball ernst, lasst euch darauf ein. Wenn wir mit der ARD Spiele übertragen, haben wir gute Einschaltquoten, auch bei ganz einfachen Länderspielen. Wir sehen, dass es im Fernsehen angenommen wird und fragen uns, warum vor Ort nicht.

Welche Schritte kann der Frauenfußball noch tun, um mehr Aufmerksamkeit zu finden?

Die Sportschau gucken über fünf Millionen Leute, dass dort jetzt regelmäßig Berichte von Ligaspielen kommen, ist ein wichtiger Schritt, bringt Wahrnehmung. VfL-Torfrau Almuth Schult ist eine, die vorangeht, Alex Popp auch. Sie ist, selbst wenn es floskelhaft klingt, eine echte Type. Aber der Frauenfußball braucht noch mehr Gesichter. Er muss noch selbstverständlicher werden. Der Lieblingstorwart meines Sohnes übrigens ist Almuth, sein Liebling im Feld ist Axel Witsel und beim VfL Wout Weghorst. Jedenfalls ist es für ihn völlig ,normal‘, dass Frauen ebenso wie Männer Fußball spielen.

Können die VfL-Frauen mal wieder die Champions League gewinnen?

Die Auslosung ist ja relativ gut, Lyon wird bis zum Finale vermieden. In Lyon spielen definitiv die besten Spielerinnen der Welt. Aber ich denke, an einem guten Tag kann der VfL Lyon schlagen.

Neben den aktuellen Berichten und Interviews zu Spielen machen Sie auch längere Dokumentationen, hatten unter anderem mal mit Naldo in Brasilien gedreht, waren bei Edin Dzeko in Sarajevo. Ist etwas Neues in Planung?

Oh, ja. Ich habe eine Dokumentation über fast vergessene Fußball-Hochburgen im Norden in Arbeit. Sendetermin ist im Februar – Fußball-Romantik aus der Zeit, in der ein Spiel das ganze Wochenende bestimmte, als der VfV Hildesheim vor 26.000 Zuschauern gegen den HSV mit Uwe Seeler und Charly Dörfel spielte, Göttingen 05 dreimal am Aufstieg in die Bundesliga scheiterte. Beim Dreh und beim Sichten des Archivmaterials ist mir aufgefallen: Der VfL Wolfsburg war eine Säule des norddeutschen Fußballs schon in den 60ern. Der Trainer von Barmbek-Uhlenhorst etwa spricht vor einem Duell gegen Wolfsburg nicht etwa von ,Werksklub‘ oder ,Neureichen‘, sondern ,von den alten Schlachtengenossen‘, was zeigt: Dieser VfL hat Tradition, die ihm viele absprechen.
    
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