Sind sie das, Bruno?

Das etwas andere Interview:
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Wir haben Bruno Labbadia mit 14 Stationen seines Lebens und seiner Karriere konfrontiert und lassen ihn davon erzählen - um zu entdecken, ob der VfL-Trainer der ist, für den man ihn Hält. Ein Porträt in O-Tönen.

aufgezeichnet von Andreas Pahlmann


01 Labbadis Eltern kamen 1956 aus dem italienischen Bergdorf Lenola nach Deutschland und ließen sich in der Nähe von Darmstadt nieder.

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„Lenola ist ein Bergort in der Region Latina und liegt in der Mitte zwischen Rom und Neapel. Als Kinder waren wir regelmäßig da, aber das war damals eine große Reise, meistens mit dem Zug, da war man 16, 17 Stunden unterwegs. Fünf der neun Kinder meiner Eltern sind in Italien geboren, die anderen vier – darunter ich – in Deutschland. Meine Geschwister sind noch sehr oft in Lenola, ich seltener. Ich habe mich als Kind immer eher deutsch fühlen wollen, wollte nicht auffallen. Wenn dann mal das Wort „Spaghetti-Fresser“ fiel, empfand man das weniger als Verletzung, sondern es bestärkte eher den Drang, sich "deutsch" verhalten zu wollen, auch die italienische Sprachen Stück weit abzulehnen. Mit meinen Geschwistern habe ich auch darum Deutsch geredet, nur mit meinen Eltern Italienisch. Das führte dazu, dass heute mein Italienisch nicht mehr so gut ist, was schade ist – mittlerweile weiß ich, wie wertvoll es ist, mehrsprachig aufzuwachsen. Dass es in Wolfsburg so viele Menschen mit italienischem Hintergrund gibt, hatte ich gar nicht gewusst – aber natürlich sofort gemerkt. Gleich in den ersten Tagen waren viele Italiener am Trainingsplatz. Ich habe mich dann ein bisschen damit beschäftigt und gelernt, dass da, wo heute unsere Arena steht, damals das ,Italienerdorf‘ in Wolfsburg war.“

02 Bis zu seinem 18. Lebensjahr war Labbadia Italiener, danach wechselte er die Staatsbürgerschaft – weil er Profi werden wollte und die beiden Ausländerplätze bei Darmstadt 98 belegt waren.

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"Damals gab es noch keine doppelte Staatsbürgerschaft, man musste den italienischen Pass abgeben. Mit dieser Idee zu meinem Vater zu gehen, war keine leichte Entscheidung. Ich habe ihm dann erklärt, dass ich einen deutschen Pass brauche, damit ich spielen kann. Das hat er akzeptiert. Als Deutscher gefühlt hatte ich mich sowieso - aber ich glaube, dass ich beide Seiten in mir habe. zum einem die "deutschen Tugenden", wenn es um die Arbeit geht, zum anderen aber auch ein bisschen "Dolce Vita" - gutes Essen und viel Sonne kann ich bis heute total genießen. Und ich liebe es, mit Menschen zusammenzusitzen und dabei ganz viel Zeit zu haben. Dass ich mit 17, 18 noch keinen deutschen Pass besaß, hatte übrigens dafür gesorgt, dass ich zwar in der Hessen-Auswahl spielen konnte, nicht aber in der deutschen Jugend-Nationalmannschaft.“

03 nach der mittleren Reife absolvierte Labbadia eine Lehre zum Versicherungskaufmann, obwohl er schon einen Profivertrag hatte.

„Ich war da ja eigentlich schon Profi, aber ich wollte unbedingt ein zweites Standbein haben. Und jede kaufmännische Ausbildung war damals durchaus angesagt und attraktiv – ob Groß- und Einzelhandelskaufmann, Bankkaufmann, Industriekaufmann oder eben Versicherungskaufmann. Es war auch nicht einfach, so einen Ausbildungsplatz zu bekommen – und wenn man kein gutes Zeugnis hatte, dann half es, wenn man ein guter Fußballer war (lacht). Mir war allerdings damals schon seit einer ganzen Weile klar, dass Fußball mein eigentlicher Weg sein wird. Als 13-Jähriger wurde ich bei einem Talentwettbewerb als eines von nur 40 Kindern unter mehreren tausend Bewerbern ausgewählt und durfte in die USA reisen und dort Pelé treffen. Das hatte ungeheuerlichen Einfluss auf mich - übrigens nicht nur positiv. Wenn du mit 13 plötzlich eine Doppelseite in der Bild am Sonntag hast und in der Sportschau auftauchst, dann macht das was mit dir. Später habe ich mal gesagt: Ich konnte als Fußball-Profi gar nicht mehr abheben, weil ich schon mit 13 abgehoben bin. Ich hatte zum Glück damals einen super Trainer und super Mitspieler, mit denen ich mich heute noch treffe. Einer von denen ist sogar in Wolfsburg gelandet, bei VW.“

04 1984 absolvierte Bruno Labbadia sein erstes Spiel für Darmstadt 98 in der 2. Liga. Für die Lilien hatte er zuvor kurz in der A-Jugend und in der Reserve gespielt.

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„Ich habe bis zum zweiten A-Jugend-Jahr bei meinem Heimatverein, dem SV Weiterstadt, gespielt. Ich wollte nicht weg, obwohl es immer wieder Anfragen gab. Mit 15 habe ich in Köln mittrainiert, mit 17 hat mich Otto Rehhagel sogar persönlich vom Flughafen abgeholt, damit ich zu Werder Bremen wechsle. Aber ich hatte das Gefühl, dass ich noch nicht so weit bin, auch körperlich nicht. Und wenn man wie ich in einer Großfamilie aufgewachsen ist, dann braucht man dieses Familiäre, von dem man sich auch nicht so leicht trennt. In der Hessen-Auswahl war ich dann der Einzige aus einem kleinen Verein. Dass ich dann zu Darmstadt 98 gewechselt bin, lag nicht an der räumlichen Nähe. Ich wusste vielmehr, dass der Verein aus finanziellen Gründen auf junge Spieler setzen muss. Und es hat funktioniert. Ich habe nur zwei Monate A-Jugend gespielt, dann kam ich in die Zweite – im Nachhinein war das einer der größten Karriereschritte von allen, weil ich als A-Jugendlicher schon gegen 30-Jährige spielen musste. Ich habe da in der 4. Liga 19 Tore in 18 Spielen gemacht und kam zu den Profi s. Es hat super funktioniert, und ich bin auch heute noch überzeugt: Ein Top-Talent aus der A-Jugend sollte – wenn es körperlich passt – spätestens im letzten Jugend-Halbjahr möglichst schon hochgezogen werden. Das prägt positiv.“

05 Bruno Labbadia spielte für sechs Bundesliga-Klubs, länger als drei Jahre hielt es ihn nirgendwo. Er blieb eineinhalb Jahre beim HSV, zweieinhalb Jahre in Kaiserslautern, drei Jahre bei den Bayern, eineinhalb Jahre in Köln, zweieinhalb Jahre bei Werder Bremen und stieg anschließend mit Arminia Bielefeld noch einmal aus der 2. Liga in die 1. Liga auf.

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„Es ging immer entweder darum, einen Karriereschritt zu gehen – oder es ging darum zu spielen. In Hamburg etwa war ich mit elf Toren in meiner ersten Saison bester Torschütze, trotzdem war ich nicht gesetzt. Also habe ich mich nach Kaiserslautern ausleihen lassen. Dort lief es dann sehr gut. Eines Tages kam ich von einem Spiel in Stuttgart nach Hause, und meine Frau sagte zu mir: ,Du, da hat ein Herr Hoeneß angerufen.‘ Und ich fragte nur: ,Welcher?‘ Denn Dieter Hoeneß war ja damals Stuttgart-Manager. Ich habe dann zurückgerufen, um festzustellen, dass es Uli war. Ich war damals auch in Gesprächen mit Borussia Dortmund, aber wenn Bayern anruft , sagst du nicht Nein. Wobei ich sagen muss, dass ich nie so etwas wie einen Traum-Klub hatte, bis heute nicht, auch als Trainer nicht. Als sich Bayern damals meldete, war es im Grunde genauso wie in diesem Februar mit dem VfL Wolfsburg: Ich hatte einfach das Gefühl, dass es der richtige Schritt zur richtigen Zeit war. Und so war es immer bei meinen Vereinswechseln.“

06 Drei Titel holte Bruno Labbadia als Spieler, die ersten beiden mit dem 1. FC Kaiserslautern - Pokalsieg 1990, Meisterschaft 1991. Im Pokalfinale 1990 (3:2 gegen Bremen) erzielte er die Treffer zum 1:0 und 2:0.

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„Ich war im Januar 1989 nach Lautern gekommen, wir schafften den Klassenerhalt, dann zog der FCK die Kauf-Option. Eine Saison später steckten wir wieder im Abstiegskampf, kamen aber ins Pokalfinale. Das war ein Schlüsselerlebnis, für mich und für die Mannschaft . Die ganze Saison davor haben wir vor jedem Auswärtsspiel gedacht: Hoffentlich wird es nicht zu hoch. Danach hieß es auf einmal: Hey, warum sollten wir mit einem Punkt zufrieden sein? Der Pokalsieg sorgte für einen ungeheuren Mentalitätswandel. Ich habe damals gelernt, was sich alles im Kopf abspielt. Für uns in Wolfsburg gilt das übrigens gerade andersrum, nach zwei Jahren Relegation musst du auch das Siegen erst mal wieder lernen, so blöd das klingen mag. In Lautern hat dieser Mentalitätswechsel dafür gesorgt, dass wir mit nur einem Neuzugang – Miroslav Kadlec – in der Saison darauf Meister wurden. Unser Konkurrent um den Titel waren die Bayern – und in der entscheidenden Phase habe ich dort unterschrieben. Weil ich keine Lust hatte zu lügen, habe ich das dann auch öffentlich bekannt gegeben. Aber als wir eine kleine Schwächephase hatten, gab es einen Riesenwirbel. Ob ich heute wieder so ehrlich wäre, weiß ich nicht. Die Bayern machten auf den FCK dann auch mental Druck, mit Sprüchen und Sticheleien, wie man das so kennt. Wir Lauterer Spieler haben dann Shirts mit Slogans bekommen, auf meinem stand ,Bayern ist laut. Wir sind Lautern‘. Und damit bin ich in die Sportschau gegangen – auch als Zeichen. Es hat funktioniert. Dass Lautern jetzt gerade in die 3. Liga abgestiegen ist, ist tragisch für den FCK, bis heute fiebere ich da mit. Zusammen natürlich mit unserem VfL-Zeugwart Heribert Rüttger, der ja auch Lauterer ist.“

07 Von den Bayern ging‘s für Labbadia zum 1. FC Köln. Dort erlebte er eine sportlich besonders schwarze Stunde - das sensationelle Halbfinal-Aus im DFB-Pokal gegen den krassen Außenseiter VfL Wolfsburg.

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„Wolfsburg, 0:1, Siggi Reich – ich habe das alles noch vor Augen. Ich hatte eine gute Pokalsaison gespielt, zwei Tore im Achtelfinale, zwei Tore im Viertelfinale. Und dann das. Weil wir absolut darauf eingestellt waren, ins Endspiel einzuziehen, hat uns diese Niederlage total zurückgeworfen – die Mannschaft , den Verein und mich natürlich auch. Trainer Morten Olsen hatte mich zum Kapitän gemacht, deswegen wollte ich auch nicht weg, als im Sommer 1995 ein Angebot von Borussia Dortmund kam. Öffentlich wurde es leider anders dargestellt – ich galt plötzlich als der, der den Abschied anstrebt. Als dann bei mir eine Leisten-OP nötig wurde, ich anschließend zu früh wieder anfing und mir einen Adduktoren-Teilabriss zuzog, hieß es endgültig: ,Der will doch gar nicht mehr.‘ Darum bin ich in der Winterpause zu Werder Bremen. Auch so kommen Wechsel zustande.“

08 Von Werder Bremen ging es 1998 zu Arminia Bielefeld in die 2. Liga, dort stieg Labbadia 1999 in die Bundesliga auf, kurz danach wurde der Karlsruher SC seine letzte Station als aktiver Spieler. Sein Einstieg ins Trainer-Geschäft begann 2003 dort, wo er einst auch Profi geworden war – bei Darmstadt 98.

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„Nach der Zeit bei Werder Bremen hätte ich nach Italien wechseln können, zum SSC Neapel oder zum FC Turin. Heute würde ich sagen: Es wäre vielleicht gut gewesen, noch ein paar Jahre in der Heimat meiner Eltern zu spielen – auch, um Erfahrungen in einem anderen Land zu sammeln. Aber Bielefeld hat mir einen Vierjahres-Vertrag angeboten, und in Deutschland zu bleiben, war auch eine Entscheidung für die Familie. Stefan Kuntz, den ich aus Lautern kannte, lockte mich dann noch mal nach Karlsruhe, wo ich auch einen Anschlussvertrag als Manager bekam – weil das als junger Spieler für mich der Karriereplan war. Aber je länger die aktive Karriere dauerte, desto mehr merkte ich, dass es mich eher in den Trainerbereich zieht. Als Schluss mit Fußball war, wollte ich mir eigentlich erst einmal irgendwo im Ausland – vielleicht in Italien – eine Auszeit gönnen und einfach mal ohne Verpflichtungen leben. Aber dann brauchte der Klub, zu dem ich eine besondere Verbindung habe, einen Trainer. Und so bin ich zehn Tage nach dem Ende meiner aktiven Karriere Trainer von Darmstadt 98 geworden. Als ich schon unterschrieben hatte, stieg Darmstadt noch in die 4. Liga ab. Und ich war bei meiner ersten Trainerstation zum Wiederaufstieg verdammt, sonst wäre der Verein finanziell kaum zu retten gewesen, der Druck war riesig. Gut war: Statt in der 3. Liga im Abstiegskampf nur defensiv zu agieren, konnte ich in der 4. Liga meinen Offensivfußball spielen lassen und Gas geben. Es war eine irre Saison – wir haben nur zwei Spiele verloren, mussten aber trotzdem bis zum letzten Spieltag um den Aufstieg kämpfen.“

09 Darmstadt, Greuther Fürth in der 2. Liga und schließlich die Bundesligisten Leverkusen und HSV – das waren Labbadias erste Stationen als Trainer.

„Den B-Schein habe ich kurz vor dem Antritt als Trainer in Darmstadt gemacht, den A-Schein ein Jahr später – jeweils im Urlaub. Wegen der Ausbildung zum Fußballlehrer habe ich dann 2006 in Darmstadt aufgehört – ein Bundesliga-Angebot hatte ich schon vorher –, mich aber dann für Greuther Fürth entschieden. Es hat wahnsinnig viel Spaß gemacht, mit den Leuten dort zu arbeiten. Es lief gut in Fürth, in Leverkusen zunächst auch. Wir hatten eine fantastische Mannschaft mit Spielern wie Patrick Helmes, Stefan Kießling, Renato Augusto oder Arturo Vidal. Mit der Erfahrung von heute würde ich sagen: Da hätte ich länger bleiben müssen. Aber es lief nicht alles harmonisch, und ich selbst habe auch Fehler gemacht. Hamburg war dann sehr speziell. Der HSV wollte mich schon 2008, hatte sich dann aber für einen erfahreneren Trainer entschieden, weil ich bislang nur in der 4., 3. und 2. Liga gearbeitet hatte. So bin ich nach Leverkusen gegangen und wurde erst ein Jahr später HSV-Trainer. Dort hatten wir einen unfassbaren Start in die Saison bis hin zur Tabellenführung Mitte Oktober. Dann kamen aber große Verletzungssorgen, einige wichtige Spieler waren erst in der Rückrunde wieder fit, konnten aber schwer mit der Belastung umgehen, schließlich waren wir in der Europa League bis ins Halbfinale gekommen. Zwischen den beiden Halbfinals – im Hinspiel hatten wir 0:0 gespielt – haben wir 1:5 in Hoffenheim verloren und ich wurde beurlaubt, obwohl wir auf Platz sieben der Tabelle standen. Es war meine erste Entlassung und meine härteste. Ich fühlte mich um das Finale, das ja in Hamburg stattfinden würde, betrogen. Denn ich war sicher, dass wir auswärts ein Tor schießen und weiterkommen würden. Nach der Entlassung habe ich mein Büro aufgeräumt und gemerkt, dass mein Mail-Account schon gelöscht ist. So schnell ging das also. Wenn ich ehrlich bin, muss ich zugeben: Bis dahin hatte ich immer gedacht, ich wäre unentbehrlich. Dann zu merken, dass man doch austauschbar ist, war eine extrem schmerzhafte Erkenntnis – aber auch eine enorm wichtige und hilfreiche.“

10 Labbadia war einmal als Spieler und zweimal als Trainer beim HSV. Hamburg wurde seine Wahlheimat, Ehefrau Sylvia und Sohn Luca (20) leben dort, Tochter Jessica (31) mittlerweile in Berlin.

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„Was Wohnort und Familie angeht, gibt es für einen Trainer keine ideale Situation. Ich bin Familienmensch und möchte meine Familie eigentlich immer um mich haben. Andererseits: Wenn es sportlich nicht gut läuft und deine Familie lebt mit dir in der Stadt, in der du arbeitest, dann leidet sie noch mehr mit. Das ist dann speziell für die Kinder nicht einfach. Der beste Kompromiss ist es wahrscheinlich, wenn der Verein und der Wohnort etwa eine Autostunde auseinanderliegen. Da kann man mal eben hinfahren, hat aber auch den nötigen Abstand.“

11 Kurz vor der Winterpause 2010 wurde Labbadia Trainer des VfB Stuttgart. Seine ersten drei Spiele dort waren spektakulär: 5:1 gegen Odense in der Europa League, 3:5 gegen die Bayern in der Liga, 3:6 gegen die Bayern im Pokal.

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„Nach dem Aus in Hamburg hatte ich den ersten Break in meiner Karriere, ich war davor ja 27 Jahre lang als Spieler und Trainer ununterbrochen im Fußball tätig gewesen. Ich habe mir dann in Spanien eine Wohnung gemietet und einfach mal versucht, in den Tag hinein zu leben. Ich hatte vorher immer geglaubt, dass ich jederzeit 100 Prozent gegeben habe – aber da habe ich gemerkt: Du musst dich auch mal rausnehmen, auch mal Pausen machen. Das war eine wichtige Erfahrung, als Mensch und als Trainer. In Stuttgart habe ich dann eine Aufgabe übernommen, wie ich sie eigentlich nie übernehmen wollte – eine Mannschaft im Abstiegskampf, mitten in der Saison. Ich wusste, dass man da von vielen Dingen abhängig ist, die man selbst nicht beeinflusst hat und nicht beeinflussen kann. 

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Aus den Spielen gegen Odense und Bayern konnte ich dann aber die Erkenntnisse ziehen, die nötig waren, um die Mannschaft auf die Rückrunde vorzubereiten. Ich hatte als Trainer ja keine Erfahrung im Abstiegskampf, musste eher instinktiv Dinge richtig machen. Wichtig ist: Du musst erkennen, was die Mannschaft kann. Vom Naturell her möchte ich Power-Fußball spielen, offensiv, mit einer guten Spieleröffnung. Aber das geht nicht immer. In Stuttgart habe ich mit dem Mannschaftsrat zusammengesessen, und die Spieler haben mir gesagt: ,Trainer, Sie wollen, dass wir von hinten raus spielerisch agieren. Aber wir sind damit nicht sicher und fühlen uns wohler, wenn wir die Bälle hinten lang raus schlagen und dann auf die zweiten Bälle gehen.‘ Da habe ich gesagt: ,Was ich spielen lassen will, ist jetzt nicht entscheidend – es ist einzig und allein wichtig, dass wir in der Liga bleiben.‘ Die Erkenntnis, dass du dich im Sinne der Mannschaft anpassen musst, hat mich wahrscheinlich zu einem kompletteren Trainer gemacht. Mit Stuttgart haben wir dann in der Rückrunde 30 Punkte holen müssen, um drinzubleiben, das ist ein Schnitt für einen Champions-League-Platz. Danach haben wir zweimal das internationale Geschäft erreicht, obwohl der Etat runtergefahren wurde. Zermürbend wurde es dann, als man rund um den Verein immer unzufriedener wurde, obwohl die Bilanz sehr gut war. So kam es dann irgendwann zum Bruch.“

12 VfB Stuttgart, Hamburger SV, VfL Wolfsburg - drei Klubs nacheinander hat Bruno Labbadia jetzt vor dem Abstieg gerettet.

„Ich werde ja oft auf das Retter- Image angesprochen, das ist auch okay – aber es ist eben nur eine Seite meiner Trainer-Laufbahn. Wenn man die Stationen durchgeht, Darmstadt, Fürth, Leverkusen, Hamburg und die beiden letzten Jahre in Stuttgart, habe ich eigentlich immer oben mitgespielt und musste die Mannschaften eben nicht durch den Abstiegskampf begleiten. Von daher ist dieses Image schon eigenartig, aber womöglich liegt es an der Schnelllebigkeit dieser Zeit, dass man sich immer nur an die beiden vergangenen Jahre erinnert. Vielleicht prägen sich manche Sachen besonders bei den Leuten ein, wenn sie sehr dramatisch sind – wie etwa die Relegation mit dem HSV in Karlsruhe. Bevor ich zum VfL kam, hatte ich die Angebote von fünf anderen Klubs abgelehnt, weil ich nicht wieder mitten in der Saison einsteigen wollte. Als jetzt das Angebot vom VfL kam, hatte ich aber das Gefühl, dass alles irgendwie passt – mir war außerdem bewusst, dass so ein Verein wie der VfL Wolfsburg nicht jeden Tag um die Ecke kommt, und ich war ja mittlerweile auch schon eine Zeit lang raus.“

13 Zwei Klubs rettete Labbadia jeweils in der Relegation – den HSV 2015 erst in der Verlängerung des Rückspiels in Karlsruhe, den VfL drei Jahre später mit zwei Siegen (3:1 und 1:0) gegen Holstein Kiel.

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„Die Ausgangslagen waren in Hamburg und Wolfsburg total unterschiedlich. Zum einen, weil die HSV-Mannschaft , die ich nach meiner Rückkehr 2015 übernommen habe, eigentlich schon abgestiegen war – während sich in Wolfsburg viele gar nicht darüber im Klaren waren, wie ernst die Lage ist. In der sportlich schwierigen Phase habe ich dann mit einer „Jetzt-erst-recht“-Haltung versucht, alles Negative von der Mannschaft wegzuhalten und ein Stück weit auf mich zu ziehen. Die innere Zufriedenheit, die ich dann am Ende nach den Kiel-Spielen hatte, war unbeschreiblich groß. Auch wenn es komisch klingt: Beim HSV hat uns damals zwar der Freistoß von Marcelo Diaz erst im letzten Moment gerettet, trotzdem war ich zu jeder Sekunde sicher, dass wir das schaffen werden. In der Relegation mit dem VfL war ich viel angespannter, vor allem im Rückspiel – weil unsere Mannschaft nicht gefestigt war und es bei einem Tor von Kiel sofort hätte gefährlich werden können.“

14 Bruno Labbadia hält zwei Rekorde im deutschen Fußball: Er hat als einziger Spieler je über 100 Tore in der 1. und 2. Liga erzielt. und er hat als Spieler und Trainer mehr Erstliga-Stationen (neun) als jeder andere.

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„Dass mit den 100 Toren wusste ich, vom Rekord mit den neun Klubs habe ich erst erfahren, als ich schon hier war. Ich habe mir gedacht: ,Mann, jetzt bist du ein ziemlich alter Sack.‘ Ein guter Freund hat mir im Abstiegskampf der vergangenen Saison ein Video gemacht, mit Bildern, Musik, emotional ganz stark, auch als Motivation für mich. Und da stand auch: ,Dir kann keiner etwas vormachen, keiner hat deine Erfahrung.‘ Und es gibt wahrscheinlich wirklich wenige, die diese Bundesliga-Erfahrung als Spieler wie auch als Trainer haben. Aber das heißt nicht, dass ich mich darauf ausruhe. Im Trainerstab überprüfen wir uns immer wieder, um besser zu werden, und versuchen dabei, auch Neuheiten in unsere tägliche Arbeit einfließen zu lassen. In unserem Beruf ist es entscheidend, Analysen richtig deuten zu können, genauso wichtig ist es aber, sich auf das Bauchgefühl zu verlassen. Das alles ist aber Beiwerk, am Ende ist es das Allerwichtigste, dass wir täglich Fußball spielen. Dieser Beruf hat viele Facetten. Und genau das macht ihn so interessant.“

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