Bitte nicht noch mal so viel Drama
Mit der Souveränität, wie sie in der Geschichte des VFL nur wenige Elfmeterschützen hatten, setzte Ricardo Rodriguez den Ball auch an diesem 5. November 2016 in Freiburg präzise ins Eck. Unten links, 3:0 für den VFL, ein sportlich nicht einmal besonders wichtiges Tor. Und doch eines, das den Lauf der Dinge in Fußball-Wolfsburg dramatisch beeinflusste. Und das Folgen hatte – unter anderem für Klaus Allofs und Bruno Labbadia.
In der Woche vor diesem Spiel hatten sich Sportgeschäftsführer Allofs und Labbadia – gegen Widerstände aus dem VFL-Aufsichtsrat – auf eine Zusammenarbeit geeinigt. Der ehemalige HSV-Retter sollte das kurze Interregnum von Valérien Ismaël beenden. Drei Wochen zuvor war der Franzose durch die Trennung von Dieter Hecking auf den Bundesliga-Trainerstuhl gespült worden – und wäre nach drei Niederlagen schon wieder Geschichte gewesen, auch wenn Allofs am Tag vor dem Freiburg-Spiel der Mannschaft gegenüber noch Gegenteiliges behauptet hatte. Aber dann kam Spiel vier unter Ismaël, und nach dem Elfmetertor in Freiburg rannte eine Spielertraube, angeführt von Rodriguez und Luiz Gustavo, auf den Trainer zu und schaffte Fakten durch eine herzerwärmende Umarmungsorgie. Seht her, so die Botschaft , wir und der Trainer, das passt. Und so wurde Ismaël Cheftrainer, und die 18-monatige Chaosphase beim VFL begann.
"Zweimal Relegation ist wirklich mehr als genug: Der VFL Wolfsburg geht mit neuer Führungsriege in eine Saison, die gern ein Bisschen langweiliger werden darf als die beiden Vergangenen."
Ein Rück- und Ausblick von Andreas Pahlmann
Ein Rück- und Ausblick von Andreas Pahlmann
Die Protagonisten dieser Zeit sind alle nicht mehr da. Ismaël nicht, der die sportliche Wende verpasste und drei Monate nach dem Freiburg-Sieg gehen musste. Allofs nicht, dessen Glaubwürdigkeit rund um die Trainer-Entscheidung endgültig einen zu großen Schaden genommen hatte. Andries Jonker nicht, der als Ismaël-Nachfolger zwar den Klassenerhalt, nicht aber den anschließenden Neuaufbau schaffte. Olaf Rebbe nicht, der in der Allofs-Nachfolge als Sportverantwortlicher zu viele falsche Entscheidungen traf. Martin Schmidt nicht, der das Traineramt von Jonker übernommen hatte und dann vor dem Chaos flüchtete. Und schließlich auch Francisco Garcia Sanz nicht, der als Aufsichtsrats-Chef lange Vorbehalte gegen Labbadia hatte und zu lange mit dem kompletten Neuaufbau der sportlichen Führung wartete.
Dieses Durcheinander, von den Moll-Tönen der über der Stadt schwebenden VW-Diesel-Affäre untermalt, sorgte für erbarmungswürdig schlechten Fußball einer identifikationslos wirkenden Mannschaft und führte den VFL zweimal in die Fußball-Hölle Relegation, was schmerzhafte Kratzer in die nach über 20 Erstliga-Jahren zu Recht stolze Wolfsburger Fußball-Seele geritzt hat. So viel Drama war man beim VFL nicht gewohnt. Und: So viel Drama möchte man beim VFL auch bitte nicht noch einmal erleben. Der Relegations-Hattrick ist ein Rekord, auf den Wolfsburg locker verzichten kann.
Solche Dramen zu vermeiden, das ist jetzt die Aufgabe einer in den letzten Monaten komplett runderneuerten VfL-Führung. Frank Witter, seit April Garcia-Sanz-Nachfolger als Aufsichtsrats-Chef, zeigte in den ersten Wochen seiner Amtszeit wohltuende Präsenz, widerstand dabei aber bisher der Versuchung, sich ins Tagesgeschäft einmischen zu wollen. Dafür ist seit dem 1. Juni Jörg Schmadtke zuständig, der vor allem für eines gesorgt hat: Man hat wieder das Gefühl, dass die da in den Allerwiesen halbwegs wissen, was sie tun. Und die gelassen-ironische Art des als „Frontsau” (Tagesspiegel) erprobten Ex-Torwarts wirkt beruhigend auf die, die sich Sorgen um den VFL machen. Ihm zur Seite steht der neue Sportdirektor Marcel Schäfer, der mit dem VFL Meister und Pokalsieger wurde und der nicht nur Bindeglied zwischen Spielern und Vereinsführung, sondern auch Vorbild in Sachen Identifikation sein soll. Das ist wichtig, denn das VFL-Motto „Arbeit, Fußball, Leidenschaft “, von Fans erdacht und vom Verein übernommen, wurde in den letzten beiden Spielzeiten häufiger gedruckt und beschworen, als vom Team gelebt.
Solche Dramen zu vermeiden, das ist jetzt die Aufgabe einer in den letzten Monaten komplett runderneuerten VfL-Führung. Frank Witter, seit April Garcia-Sanz-Nachfolger als Aufsichtsrats-Chef, zeigte in den ersten Wochen seiner Amtszeit wohltuende Präsenz, widerstand dabei aber bisher der Versuchung, sich ins Tagesgeschäft einmischen zu wollen. Dafür ist seit dem 1. Juni Jörg Schmadtke zuständig, der vor allem für eines gesorgt hat: Man hat wieder das Gefühl, dass die da in den Allerwiesen halbwegs wissen, was sie tun. Und die gelassen-ironische Art des als „Frontsau” (Tagesspiegel) erprobten Ex-Torwarts wirkt beruhigend auf die, die sich Sorgen um den VFL machen. Ihm zur Seite steht der neue Sportdirektor Marcel Schäfer, der mit dem VFL Meister und Pokalsieger wurde und der nicht nur Bindeglied zwischen Spielern und Vereinsführung, sondern auch Vorbild in Sachen Identifikation sein soll. Das ist wichtig, denn das VFL-Motto „Arbeit, Fußball, Leidenschaft “, von Fans erdacht und vom Verein übernommen, wurde in den letzten beiden Spielzeiten häufiger gedruckt und beschworen, als vom Team gelebt.
Schäfer steht mit seiner glaubwürdigen Identifikation mit dem Klub – wie vor ihm einst Roy Präger – für die Idee, dass der VFL Wolfsburg mehr sein kann als die überaus üppig alimentierte VW-Tochter, die an überehrgeizigen Zielen regelmäßig scheitert und darum für viele (zu) gut bezahlte Profis kaum mehr als eine Durchgangsstation auf dem Karriereweg ist. Dass sich diese Identifikation bei den Spielern umso leichter einstellt, je größer der Erfolg ist, versteht sich von selbst.
Womit wir beim Trainer wären und bei der erstaunlichen Feststellung, dass Bruno Labbadia in den Reihen des sportlich verantwortlichen VFL-Quartetts mit Witter, Schmadtke und Schäfer schon der Dienstälteste ist. Als er im Februar ins Amt kam, ging es darum, den Verein zu retten. Jetzt kann und muss der Ex-Torjäger zeigen, dass er nicht nur wegen seiner italienischen Wurzeln prima nach Wolfsburg passt, sondern dass er eine Mannschaft formen kann, die den Wolfsburger Ansprüchen genügt. Dass er die Chance dazu nicht schon im November 2016 bekam und zudem bei den beiden nachfolgenden Trainerwechseln nicht zum Zuge kam, nimmt er dem VFL nicht übel. Labbadia freut sich vielmehr über die Chance, sich bei einem strukturell wieder gesunden Verein vom Retter-Image lösen zu können. Eine gute Ausgangslage.
Womit wir beim Trainer wären und bei der erstaunlichen Feststellung, dass Bruno Labbadia in den Reihen des sportlich verantwortlichen VFL-Quartetts mit Witter, Schmadtke und Schäfer schon der Dienstälteste ist. Als er im Februar ins Amt kam, ging es darum, den Verein zu retten. Jetzt kann und muss der Ex-Torjäger zeigen, dass er nicht nur wegen seiner italienischen Wurzeln prima nach Wolfsburg passt, sondern dass er eine Mannschaft formen kann, die den Wolfsburger Ansprüchen genügt. Dass er die Chance dazu nicht schon im November 2016 bekam und zudem bei den beiden nachfolgenden Trainerwechseln nicht zum Zuge kam, nimmt er dem VFL nicht übel. Labbadia freut sich vielmehr über die Chance, sich bei einem strukturell wieder gesunden Verein vom Retter-Image lösen zu können. Eine gute Ausgangslage.
Gefühlt war es ein Umbruchsommer, den der VFL hinter sich hat, das Team allerdings wurde deutlich weniger stark verändert als das Führungspersonal. Mit Wout Weghorst und Daniel Ginczek kamen zwei neue, spannende Torjägertypen, mit denen der VFL in der Bundesliga endlich wieder ein Offensivspiel bieten will, das diesen Namen auch verdient. Sie passen zu Labbadias Idee von intensivem Fußball, bei dem nicht nur die Ordnung stimmt, sondern bei dem auch endlich wieder jeder weiß, was er nach Ballgewinnen zu tun hat. Jerome Roussillon schließt die Lücke auf der linken Abwehrseite, der zu Saisonbeginn verletzte Felix Klaus und Ersatzkeeper Pavao Pervan sind noch unter der Rubrik „Ergänzung“ abzuheften. Die Kaderveränderungen sind also überschaubar – von der Idee, mit den Julian Draxlers und André Schürrles dieser Welt das Dauerticket für die Champions League zu lösen, hat sich der VFL weiter entfernt. Dafür sind unter den Spielern, die schon da waren, einige dabei, denen man etwas zutraut – nämlich, dass sie in einer etwas weniger chaotischen Umgebung und ohne Verletzungspech zu Leistungssteigerungen fähig sind. Der hochveranlagte Dribbler Josip Brekalo gehört dazu, ebenso Spieler wie William, Felix Uduokhai oder Admir Mehmedi. Auf andere – Josuha Guilavogui, Maximilian Arnold oder Yunus Malli etwa – kommt mehr Verantwortung zu, wenn der VFL seine sportlichen Kurzfrist-Ziele erreichen will. Diese Ziele sind nach zwei Fast-Abstiegen naturgemäß bescheiden formuliert und bewegen sich zwischen „einstelliger Tabellenplatz“ (Aufsichtsratsmitglied Bernd Osterloh) und „ruhige Saison“ (Manager Schmadtke). Auf Sicht wird das nicht reichen, dazu ist VFL-Eigner Volkswagen als Global Player dann doch zu ehrgeizig. Aber fürs Erste kann sich Fußball-Wolfsburg damit sehr gut anfreunden.
Es gibt zudem trotz der positiven Stimmung im Vorfeld ja auch durchaus reichlich Fragezeichen. Wie klappt das Zusammenspiel zwischen Schmadtke, Schäfer und Labbadia, wenn es mal nicht so läuft? Hat die Mannschaft in dem vom Trainer bevorzugten 4-3-3-System genug Tempo-Spieler, um Lücken in gegnerischen Defensivreihen zu finden? Ist die Abwehr auch gegen bewegliche Angreifer sattelfest? Und nicht zuletzt: Laufen die ersten Spiele – gegen die extrem ambitionierten Gegner Schalke 04, Bayer Leverkusen und Hertha BSC – so, dass sich zwischen Anhängern und Team wieder das zuletzt oft vermisste Miteinander aufbaut?
Geht‘s gut, können Schmadtke und Co. in dieser Saison die Saat dafür legen, mit einer authentisch als VFL-Team agierenden Truppe auch mal wieder nach Europa blicken zu dürfen. Und dann – wann auch immer das sein mag – darf es gern wieder ein bisschen dramatisch werden.