Eine Super-Serie und viele Bierduschen

20 Jahre, 20 Geschichten – Die AZ/WAZ-Serie zum Bundesliga-Jubiläum des VfL (19): Die Meisterschaft

Der Moment des größten Triumphes der VfL-Geschichte: Kapitän Josué präsentiert am 23. Mai 2009 die Meisterschale, um ihn herum jubeln Grafite (l.), Edin Dzeko (h. r.) und Andrea Barzagli (r.). dpa
Der Moment des größten Triumphes der VfL-Geschichte: Kapitän Josué präsentiert am 23. Mai 2009 die Meisterschale, um ihn herum jubeln Grafite (l.), Edin Dzeko (h. r.) und Andrea Barzagli (r.). dpa
Es war klar, dass es so kommt, dass es nach dem Abpfiff kein Halten mehr geben würde. Und trotzdem waren die Bilder überwältigend schön. Auf dem Rasen lagen sich am 23. Mai 2009 in der VW-Arena Edin Dzeko und Co. in den Armen, die Fans stürmten auf das Spielfeld. Es wurde gelacht, geschrien oder einfach nur vor Glück geweint. Mit einer 5:1-Peitsche hatte Wolfsburgs Fußball-Bundesligist gerade Werder Bremen auf die Heimreise geschickt, aber das Schützenfest an sich war nebensächlich. Der VfL hatte gerade etwas gewonnen, was er selbst vor der Saison nicht einmal zu träumen gewagt hatte – erstmals in seiner Historie war er deutscher Meister geworden.

Mit Gerstenkaltschale geduscht und die Meisterschale gestemmt: Felix Magath, Trainer und Manager des VfL. Imago 04511382/04507778
Mit Gerstenkaltschale geduscht und die Meisterschale gestemmt: Felix Magath, Trainer und Manager des VfL. Imago 04511382/04507778
Bierduschen für Magath

Und dieser Titel wird mit einem Namen immer eng verbunden bleiben – mit Felix Magath. „Felix Magath, du bist der beste Mann“ hallte es an diesem herrlichen späten Samstagnachmittag von den Tribünen – selbst dann noch, als DJ Ötzi seinen Hit „Hey Baby“ schmetterte, hörten diese Gesänge nicht auf. Einzig Magath war kurzzeitig verschwunden – wohin genau, ist bis heute nicht überliefert. Aber: Als er aus den Katakomben zurückkehrte, bedankte sich die Mannschaft auf ihre Weise – die Spieler übergossen ihn mit einigen Litern Bier. An diesem Tag war dem Disziplin-Fanatiker Magath alles egal, denn das, was er zusammen mit Benaglio, Josué, Misimovic, Dzeko, Grafite und Co. da hinbekommen hatte, war eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit. 

Noch eine Trophäe: Grafite mit der Torjägerkanone – der Brasilianer steuerte 28 Treffer zum Titelgewinn bei. Imago 04507980
Noch eine Trophäe: Grafite mit der Torjägerkanone – der Brasilianer steuerte 28 Treffer zum Titelgewinn bei. 
Imago 04507980
„Vielleicht haben wir nicht die beste Mannschaft, aber wir haben am besten gespielt. Das ist ein Traum, der in Erfüllung gegangen ist. Ich hatte vor der Saison nicht gedacht, dass wir eine Chance haben, deutscher Meister zu werden“, sagte der Trainer, der es geschafft hatte, aus einer „Trümmertruppe“ (Magath) eine außergewöhnliche Mannschaft zu formen. Nie war die Identifikation mit dem VfL, der 2006 und 2007 fast abgestiegen wäre, so groß. Der Meistermacher, der im Sommer 2007 in Wolfsburg Trainer und Manager in Personalunion geworden war, hatte viel bewegt, eine Stadt in Fußball-Fieber versetzt, den Fans Stolz und Selbstbewusstsein verliehen. Grün war die Modefarbe der Saison.

Grandios: Wolfsburgs 5:0 im letztenAuswärtsspiel in Hannover – hiertrifft Grafite zum 3:0. Imago 04492899
Grandios: Wolfsburgs 5:0 im letzten
Auswärtsspiel in Hannover – hier
trifft Grafite zum 3:0. Imago 04492899
Der Schlusspunkt: Edin Dzeko trifft zum 5:1-Endstand gegen Werder – die Meisterparty konnte steigen. Imago 04508284
Der Schlusspunkt: Edin Dzeko trifft zum 5:1-Endstand gegen Werder – die Meisterparty konnte steigen. Imago 04508284
Magath gefährdet den Titel

Dabei hatte nach der Hinrunde nichts auf so ein spektakuläres Ende hingedeutet. Wolfsburg war als Tabellenneunter mit neun Punkten Rückstand auf Überraschungs- Spitzenreiter 1899 Hoffenheim ins Meisterjahr 2009 gestartet, aber: Nach dem 1:1 zum Rückrunden-Auftakt in Köln folgten zehn Siege in Folge! Das hatte in der Bundesliga-Geschichte innerhalb einer Saison bis dahin nur Gladbach 1987 geschafft. Der FC Bayern hatte zwar schon zwei längere Siegesserien, aber die waren saisonübergreifend. Erst in Bayerns Triple-Spielzeit (2012/13) verlor der VfL diesen Spitzenwert, der Rekordmeister schaffte 14 Dreier in Folge.

Ritt auf der Torlatte: Nach dem Abpfiff des letzten Spiels gab‘s in der VW-Arena kein Halten mehr. Imago 04512604
Ritt auf der Torlatte: Nach dem Abpfiff des letzten Spiels gab‘s in der VW-Arena kein Halten mehr. 
Imago 04512604
Rauchzeichen: VfL-Spielmacher Zvjezdan Misimovic mit dem Objekt der Begierde – und Zigarre. Imago 04509080
Rauchzeichen: VfL-Spielmacher Zvjezdan Misimovic mit dem Objekt der Begierde – und Zigarre. Imago 04509080
Mit begeisterndem Offensivfußball hatte der VfL die Rückrunde dominiert. 5:1 hatte er die Bayern gedemütigt und war danach Spitzenreiter geworden. Aber der größte Erfolg war zwischenzeitlich arg in Gefahr geraten, als durchgesickert war, dass Magath nach der Saison wohl zu Schalke 04 wechselt. Vorm Spiel gegen Hoffenheim brach der extrovertierte Trainer ein Tabu und sagte erstmals: „Wir wollen Meister werden!“ Einerseits war das damals ein kleines Ablenkungsmanöver wegen seines bevorstehenden Abgangs. Aber der Coach erklärte nach dem 4:0 gegen 1899 auch, warum er in Sachen Titel plötzlich in die Offensive gegangen war. „Die Situation hat sich geändert. Wir haben uns in Cottbus unsere Niederlage abgeholt, so dass wir jetzt die restlichen Spiele wieder gewinnen können.“ Und: „Unser Restprogramm ist aus meiner Sicht nicht schwerer als das des FC Bayern, und wir haben schließlich immer noch drei Punkte Vorsprung.“ Der war nach dem 1:4 in Stuttgart jedoch futsch.

Ausgerechnet Wolfsburgs heutiger Top-Torjäger Mario Gomez hatte den VfL im Alleingang abgeschossen, Konkurrent Bayern wiederum in Cottbus gewonnen. Nur wegen des besseren Torverhältnisses blieb der VfL vorn. Wolfsburg wankte, aber nur kurz. Es folgten das grandiose 5:0 in Hannover (Bayern kam bei 1899 Hoffenheim nur zu einem 2:2) und der Schlussakt gegen Bremen. „Dann“, so Magath, „war „der Drops gelutscht!“

Nächsten Mittwoch: Der Aufstieg

In dieser Woche vor 20 Jahren  


Erzielte das zweite Tor: Sead Kapetanovic (l.). Imago ust/09982297
Erzielte das zweite Tor: Sead Kapetanovic (l.). Imago ust/09982297
Auf dem Weg in die 1. Liga wechselt jetzt wöchentlich das Verkehrsmittel. Beim vorangegangenen auswärtstrip zu den Stuttgartern Kickers stand das Flugzeug im Fokus (der VfL nutzte erstmals den Luftweg zu einem Zweitliga-Gastspiel), am 1. Juni 1997 ist es die Eisenbahn. „Heimspiel-atmosphäre in Uerdingen schaffen“ – dieses Motto von VfL-Vizepräsident Wolfgang Heitmann findet Gehör. Rund 3000 Fans begleiten die Grün- Weißen zum KFC, mehr als 1000 davon im Sonderzug.

Und das Grotenburg-Stadion ist ein lohnendes Ziel, könnte zum Schauplatz Wolfsburger Feierlichkeiten werden. Erste Voraussetzung, damit der VfL vorzeitig als dritter Bundesliga-aufsteiger neben dem 1. FC Kaiserslautern und Hertha BSC feststeht: ein Sieg in Uerdingen. Zweite Voraussetzung: der FSV Mainz 05 verliert. Dritte Voraussetzung: die Kickers gewinnen nicht.

Der VfL kann‘s also nur bedingt beeinflussen, tut aber das Mögliche, um den Erstliga-Traum schon jetzt wahr werden zu lassen. Vor allem, weil nach der Pause die Joker stechen. Zoran Tomcic, für den verletzten Jann Jensen eingewechselt, aber selbst noch angeschlagen, trifft zum 1:0 (49.). Sven Ratke, ebenfalls von der Bank gekommen, bereitet das 2:0 durch Sead Kapetanovic vor (83.) und markiert den 3:0-Endstand (90.). Ratke, in dieser Saison oftmals nur Tribünenhocker: „Mir ist ein Stein vom Herzen gefallen.“

Die beiden anderen Voraussetzungen für eine vorgezogene grün-weiße Party treten aber nicht ein: Stuttgart (3:1 gegen den VfB Leipzig) gewinnt, Mainz (2:0 gegen Fortuna Köln) ebenfalls. am letzten Spieltag gastiert der FSV zum aufstiegsfinale in Wolfsburg. Dem VfL genügt zwar ein Remis, doch davon will Kapetanovic nichts wissen. Seine forsche ansage: „Jetzt werden wir auch Mainz weghauen!“

„Es war ein einzigartiger Moment“

Er war der abräumer im VfL-Mittelfeld, einer, der nur selten ein Foul brauchte, um einen Gegner stoppen zu können: Meisterkapitän Josué. Der 37-Jährige hat im vergangenen Jahr seine Karriere beendet, zuletzt hatte er bei atletico Mineiro gespielt.

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Josué, Hand aufs Herz: Wie oft denken Sie noch an die Meisterschaft 2009 mit dem VfL Wolfsburg zurück?

Sehr, sehr oft, weil das eine ganze besondere Leistung war, die ich in meiner Zeit als Profi erleben durfte.

Sie waren brasilianischer Nationalspieler, zweifacher brasilianischer Meister, haben die südamerikanische Champions League gleich zweimal gewonnen – welchen Stellenwert hat die deutsche Meisterschaft mit dem VfL für Sie?

Es war und ist von großer Wichtigkeit für mich als Brasilianer, in der Bundesliga die Meisterschaft zu gewinnen. Es war ein einzigartiger Moment für die Mannschaft und für mich natürlich ebenfalls, weil ich Kapitän dieses tollen Teams sein durfte. Es war einfach ganz, ganz speziell.

Das gilt sicher auch für den Augenblick, als Sie am 23. Mai 2009 die Meisterschale in den Wolfsburger Himmel gestemmt haben...

Ja, natürlich. Das war zweifelsohne ein Moment für die Ewigkeit. Wir hatten damals so viel Selbstvertrauen in der Truppe, das war unglaublich. Und nach dem 5:1-Sieg gegen Bayern München war ich mir sicher: Jetzt werden wir deutscher Meister!

Wie intensiv verfolgen Sie den VfL heute noch?

Ich informiere mich über die sozialen Netzwerke, was in Wolfsburg so passiert. Natürlich habe ich noch Kontakt zu meinen Landsleuten Grafite, Diego und Naldo. Auch zu Ashkan Dejagah und Marcel Schäfer bestehen noch Kontakte.

Wie gut ist Ihr Draht eigentlich noch zu Meistertrainer Felix Magath, der sie damals zum Kapitän des VfL Wolfsburg gemacht hat?

Ich habe keinen Kontakt mehr zu Herrn Magath, aber ich verfolge natürlich, wie er sich in der chinesischen Super League macht.

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